10/03/2025 0 Kommentare
"Einer wie wir - für uns": Predigt in der Martin-Luther-Gemeinde am Sonntag Invokavit, 9. 3. 2025
"Einer wie wir - für uns": Predigt in der Martin-Luther-Gemeinde am Sonntag Invokavit, 9. 3. 2025
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"Einer wie wir - für uns": Predigt in der Martin-Luther-Gemeinde am Sonntag Invokavit, 9. 3. 2025
Lassen Sie uns eine Zeitreise machen in das Jahr 325. Einige Jahre zuvor ist Kaiser Konstantin Alleinherrscher des Römischen Reiches geworden. Davor gab es eine „Tetrarchie“, eine Vier-Männer-Herrschaft. Die Macht war auf mehrere Schultern verteilt und ging nicht vom Vater auf den Sohn über. Aber 312 änderte sich alles: Konstantin setzte sich in der Schlacht an der Milvischen Brücke gegen seinen Konkurrenten Maxentius durch. Nun war Konstantin, der Sohn eines Kaisers, alleiniger Herrscher über das Weltreich. Die entscheidende Schlacht, so will es die Legende, habe er im Zeichen des Kreuzes gewonnen. „In hoc signo vinces“, „In diesem Zeichen wirst du siegen“, habe Gott ihm in einer Vision bedeutet, und daraufhin habe Konstantin das Kreuz auf die Schilde seiner Soldaten malen lassen und der Gekreuzigte habe für den Sieg gesorgt.
Mit dieser sogenannten „konstantinischen Wende“ beginnt der Aufstieg des Christentums. Es wird von einer verfolgten zu einer privilegierten Religion, später zur Staatsreligion, neben der andere Religionen kaum noch geduldet werden. Jetzt, als die Kirche vom Druck der Verfolgung befreit ist, werden die ersten Bekenntnisse formuliert, mit denen kontroverse Positionen ausgeschieden werden sollen. Das Christentum, vorher Opfer von Verfolgung, wird selber intolerant.
Der Glaube soll vereinheitlicht werden, denn darauf will Kaiser Konstantin die Einheit des Reiches aufbauen. Zu diesem Zweck beruft er für das Jahr 325 eine Bischofsversammlung nach Nicäa ein, das liegt in der Nähe seiner Kaiserresidenz Byzantos, dem späteren Konstantinopel, heute Istanbul. Auf dem Konzil von Nicäa sollen einige theologische Fragen verbindlich für die ganze Reichskirche geklärt werden. Und dabei entsteht der Text, den wir vorhin gesprochen haben, das sog. Nicänische Glaubensbekenntnis.
Nein, in Wirklichkeit hat es nochmal 50 Jahre Auseinandersetzungen, Spaltungen und Exkommunikationen gebraucht, bis zum Konzil von Konstantinopel im Jahr 381. Und dann noch einmal 70 Jahre, in denen der Streit weiter eskalierte mit Tumulten, Schläger-Trupps, Entführungen und Verbannungen - bis zum Konzil von Chalcedon im Jahr 451. Und erst seitdem steht für die Christenheit fest: Jesus von Nazareth ist der erwartete und wiederkommende Christus, der leidende und auferstandene Erlöser, er ist der Sohn des Weltenschöpfers. Und er ist wahrer Mensch (also in allem wie wir) und zugleich wahrer Gott mit allen Eigenschaften, die Gott zugesprochen werden. Zwei Naturen in einer Person, so nennt man das. Glauben Sie das?
Die Frage, wer Christus ist, kann einem abgehoben erscheinen, wenig relevant für unser tägliches Leben oder angesichts der Probleme, vor denen wir stehen. Was soll man sich darüber streiten oder gar die Schädel einschlagen? Tatsächlich begnügen sich heute die meisten, die sich nach Christus nennen, mit einer wesentlich einfacheren Beschreibung dessen, was Christus für sie ist. Für viele Heutige ist Christus ein guter Mensch. Ein besonders guter Mensch, ja, aber eben kein Gott. Einer, der immer anderen geholfen hat. Einer, der Wunder getan hat – aber da beginnen schon die Zweifel. Einer, der verhaftet, gefoltert und getötet wurde, aber man versteht nicht so recht, warum einer, der uns doch lediglich Weisheiten zur Lebenshilfe gegeben hat, so ge-quält wurde? Und dann die Auferstehung– für moderne Menschen mehr Fragezeichen als Gewissheit.
In dieser modernen Sicht ist der Jesus, den die Evangelien und Briefe schildern, für den Glauben weitgehend entbehrlich. Er ist ein Prophet, wie er im Islam geglaubt wird, aber nicht mehr. Und damit ist er zwar ein Vorbild, das uns zeigt, wie wir richtig leben sollen. Aber erlösende Kraft hat er nicht. Jesus ist dann einer, der die Wahrheit sagt und sie uns notfalls auch um die Ohren haut. Aber er befreit uns nicht und führt uns nicht heraus, wenn wir an der Verantwortung scheitern, die wir für das Leben haben.
Die Bekenntnisse, die Dogmen, sagen uns über Christus ein entscheidendes, glückliches Mehr. Und was dieses Mehr ist - vielleicht haben die Konzilsväter (ausschließlich Männer) an den sogenannten Hebräerbrief im Neuen Testament gedacht, als sie beisammen saßen, um den Glauben zu formulieren.
Wir haben einen großen Hohepriester, der alle Himmel durchschritten hat: Es ist Jesus, der Sohn Gottes. Lasst uns also an dem Bekenntnis zu ihm festhalten!
Er ist kein Hohepriester, der nicht mit unseren Schwachheiten mitleiden könnte. Er wurde genau wie wir in jeder Hinsicht auf die Probe gestellt. Nur war er ohne Sünde. Lasst uns also voller Zuversicht vor den Thron unseres gnädigen Gottes treten. So können wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden. Und so werden wir zur rechten Zeit Hilfe bekommen. (Hebr. 4,14-16)
Es gibt im Neuen Testament einige Bilder, die die Bedeutung von Jesus Christus beschreiben: Licht der Welt, Brot des Lebens. Müder, aber furchtloser Seemann, erfolgreicher Fischer. Arzt und Wundertäter. Mutiger Prophet, Ruhestörer und Dissident. Guter Hirte, König anderer Art. Fresser und Säufer. Freund.
Der Hebräerbrief spricht von Christus als Hohepriester. Der oberste Priester hatte im Judentum, solange in Jerusalem der Tempel stand, eine spektakuläre Aufgabe. Er voll-zog den Gottesdienst, bei dem einmal im Jahr durch Gebete und Opfer die Sünden des ganzen Volkes, also alles, was zwischen Israel und Gott steht, aufgehoben, entfernt oder ausgeglichen wird. Der Hohepriester vollzieht den Gottesdienst, in dem Israel erlöst wird.
Und diese Befreiungstat hat, dem Hebräerbrief zufolge, Jesus Christus getan – nicht nur für Israel, sondern für uns alle. Er ist unser Hohepriester, der (nicht alle Jahre wieder sondern einmal für immer) am Kreuz die Sünder auf sich genommen und abgetragen hat, damit wir befreit leben können. Damit wir, wenn wir vor unseren Richter treten, mit Zuversicht erfüllt sind. Denn irgendeine Art von Gericht muss es doch wohl geben? Ein Forum, vor dem sich die Menschen mit ihren Taten und Untaten verantworten müssen? Die großen Verbrecher, aber auch wir kleinen Mitläufer. Wir, die wir auf die Probe gestellt werden und nicht immer bestehen. Die Versuchung kommt ja meistens nicht mit diabolischem Grinsen und zwei Hörnchen auf der Stirn. Oft ist sie eine unauffällige, bisweilen sogar ganz angenehme Sache. Lieber auf dem Sofa sitzen zu bleiben, statt für die Demokratie zu demonstrieren. Der rassistischen Bemerkungen im Bus lieber nicht zu widersprechen, denn das macht jetzt nur Ärger. Den Urlaubsflieger genommen statt ein Ziel in der Bahnwelt gebucht, weil: Man gönnt sich ja sonst nichts. Vielleicht sind die vielen Rechtfertigungen, die wir für alles parat haben, der beste Indikator dafür, in welchem Netz wir uns verheddert haben. Vor welcher Verantwortung wir uns davonstehlen möchten. Was von uns gefordert wird, was wir aber nicht tun.
In der Summe und über die lange Strecke unseres Lebens ergibt sich für jeden und jede von uns eine Last, die wir selbst nicht tragen, nicht abarbeiten, nicht ausgleichen, aber auch nicht wegdiskutieren können. Und weil das so ist, brauchen wir mehr als ein Vorbild. Mehr als einen Ratschlag, wie man es machen könnte. Mehr als Information darüber, wie wir uns zu verhalten hätten.
Wir brauchen Gnade. Wir brauchen Erlösung. Und die bringt uns – Jesus Christus. „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen und ist Mensch geworden“, sagt das Nicänische Bekenntnis. Man kann sehr unterschiedlich davon denken, wie Christus diese Gnade bewirkt hat und welche Rolle dabei der Begriff des Opfers spielt. Das ist eine andere Predigt. Sicher ist: Wir kommen aus der lähmenden Verstrickung nur heraus, in dem jemand anders die Knoten für uns löst. Und Christus tut das und kann das, weil er Mensch ist, in allem wie wir. Und weil er zugleich Gott ist, und das heißt: nicht Teil des Sündengeschehens und der Entfremdung.
Jetzt sehen wir, wozu die Zwei-Naturen-Lehre, wie der Hebräerbrief sie anklingen lässt und wie das Bekenntnis sie ausformuliert, uns hilft. Sie stellt uns einen an die Seite, dem wir vertrauen können, weil er ein Mensch ist. Einer wie du und ich, nicht fremd, ganz nah. Wir sehen in das Gesicht eines Menschen, mit dem wir so viel teilen. Unsere Angst, unsere Sorge, unseren Zorn. Unsere Enttäuschung und unsere trotzige, verheulte Hoffnung. Alle Seelenlagen erkennen wir in diesen Menschen wieder. Er ist wie wir.
Und er ist zugleich das, was wir so schlecht sein können: Einer für uns. Wenn Menschen sich aufschwingen, „einer für uns“ sein zu wollen, dann geht das oft grausam schief. Dann endet das immer wieder in Machtmissbrauch, Paternalismus, Korruption etc. Wie bei Konstantin und anderen Groß-Herrschern.
Ich will über unsere Fürsorge nicht Schlechtes sagen. „Einer für uns“ – es mag sein, dass das manchmal gelingt. Aber in viel zu vielen Fällen wird es, weil es in einer unerlösten Welt von bloßen Menschen gemacht wird, zur Wohlfahrts-Diktatur. „Wohlfahrtsausschuss“ nannte sich der staatliche Terror in der französischen Revolution. Bestimmt hatte man das Beste im Sinn. Dass irgendwas wieder groß würde, zum Bei-spiel. Aber dann wurde daraus eine schöne neue Welt.
Christus aber ist eben nicht nur einer wie wir. Er ist auch als einer für uns wahrer Gott. Als Hohepriester hat er direkten Zugang zu Gott, steht bittend vor Gott, setzt sich als unser Anwalt für uns ein, übernimmt unsere Verteidigung, wo unsere Rechtfertigungen uns im Mund zerbröseln.
Ja er macht sich, so sagen einige, selbst zum Opfer. Aber zu dem Opfer, dass Gott an-nimmt. Nicht zu so einer vergeblichen oder heuchlerischen Hingabe, zu der wir Menschen uns selbst oder die anderen Menschen machen.
Wahrer Mensch und wahrer Gott, so fasst das Bekenntnis ganz richtig zusammen, was die Bibel uns über Christus erzählt. Und was für uns wirklich glaubhaft ist, weil es mehr ist als der gute Mensch, der wir selber gerne wären, aber nicht sind.
Als wahrer Mensch ist Christus der, in dem der freundliche Gott uns ganz nahekommt, uns sieht und versteht. Und als wahrer Gott ist er der, der uns befreit, damit wir für das Leben arbeiten.
Pastor Klaus Kramer
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