02/07/2024 0 Kommentare
Aufruhr im Ostergottesdienst - Ein Gedankenspiel von Pastor Detken
Aufruhr im Ostergottesdienst - Ein Gedankenspiel von Pastor Detken
# mittendrin

Aufruhr im Ostergottesdienst - Ein Gedankenspiel von Pastor Detken
Am Ostersonntag erhebt sich plötzlich ein Mensch im Gottesdienst. Bisher ist noch nicht viel passiert, ein Osterlied, ein Gebet, jetzt gerade steuert die Feier auf ihren ersten Höhepunkt zu. Der Pastor wendet sich zur neuen Osterkerze. Schlank und unverbraucht steht sie auf ihrem Ständer. Sie ist filigran verziert und zur Feier des Tages mit Blüten und grünen Zweigen umlegt. Sie wird würdevoll entzündet, jedes Jahr zu Ostern ein neues Licht für die Gemeinde, ein Zeichen für Gottes wunderbare Antwort auf Leid und Tod seines Sohnes am Kreuz.
Der Mensch schiebt sich aus der Bank, steuert zügig nach vorn, am verdutzten Pastor vorbei und zur Kerze. Er pustet das Licht wieder aus. Eine Schrecksekunde lang kann man dem Rauch des glimmenden Dochtes noch nachsehen, wie er durch die schrägfallenden Lichtstrahlen im Altarraum zieht. Dann ist das Feuer aus und der Mensch verschwunden.
Ein politisches Statement? Übergeschnappt? Ketzerei? Während ein einzelner Mann links in der Bankreihe spontan Applaus klatsch, wendet sich der Pastor zweimal hin und wieder her, dann entscheidet er sich, Streichhölzer zu suchen. Er findet aber keine. Der Küster hätte welche, traut sich aber nicht nach vorn. „Das könnt ihr doch nicht machen!“, schluchzt eine alte Frau. Ihr stehen Tränen in den Augen. „Richtig so“, ruft eine andere, „in diesen verlogenen Mauern!“ Ein anderer springt ihr bei: „Genau! Da draußen ist Krieg und wir machen hier alle Jahre wieder ‚Friede, Freude, Kerzen an‘!“ „So ein Unsinn“, wird sofort entgegnet, „das ist doch ein Zeichen für den Frieden!“ „Habt ihr dem Pastor nicht zugehört, der hat doch über ‚schwere Zeiten‘ gebetet!“, kommt dazu. „Das ist nicht radikal genug!“, geht es wieder zurück, dann aber: „Was willst du denn machen, zurückschießen?“
Die ganze Versammlung ist in Aufruhr, stehend über die Bankreihen hinweg, sitzend mit der Nachbarin, wild über den Mittelgang gestikulierend, wird diskutiert und gestritten. Helfen Gebete? Wenn ja, reichen sie? Wie viel Draußen muss rein, in die Kirche? Oder werden die Probleme der Welt langsam zu übermächtig, ist es gut, Ruheorte zu haben? Und: Darf man so eine Osterkerze jetzt einfach wieder anmachen?
Die Geschichte von Ostern erzählt, wie Gott das, was in der Welt normal und erlaubt ist, gründlich umkrempelt. Einen aus den Fugen geratenen Gottesdienst zum Ostersonntag fände ich da nur passend. Wenn die Toten nicht tot bleiben, sondern Gott allen Menschen das Leben unter die Nase reibt, dann sind wir frei – mindestens frei genug, um aus der Bank zu treten und zu zeigen, wie es uns geht. In der Kirche ist dafür Platz.
Pastor Stefan Detken
Dieser Beitrag ist auch in unserem Gemeindebrief "mittendrin" erschienen.
Das mittendrin liegt im Gemeindezentrum, der Kirche und vielen Geschäften und Praxen im Stadtteil aus. Oder Sie lesen es digital: mittendrin als pdf.
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