02/07/2024 0 Kommentare
Wir sind vom Tod bedroht, und seht doch: Wir leben!
Wir sind vom Tod bedroht, und seht doch: Wir leben!
# Gottesdienste/Spirituelle Angebote

Wir sind vom Tod bedroht, und seht doch: Wir leben!
Stellen wir uns vor, wir hätten eine Botschaft aus der Ukraine erhalten, von den Menschen, die dort in den U-Bahn-Schächten und Kellern um ihr Leben fürchten, die als Soldaten oder Milizionäre gegen die Russen kämpfen oder die in den besetzten Städten mutig gegen die Invasion protestieren. Vielleicht würden sie so schreiben:
Mit großer Standhaftigkeit ertragen wir Leid, Not und Verzweiflung.
Man schlägt uns, wenn wir gegen die Besatzung protestieren.
Man wirft uns ins Gefängnis, wenn wir für die demokratische Regierung gearbeitet haben.
Man hetzt die Leute gegen uns auf, indem man sagt, wir seien Nazis.
Wir arbeiten bis zur Erschöpfung, wir schlafen nicht und essen nicht.
Wir kämpfen mit den Waffen der Gerechtigkeit, denn uns wird Unrecht angetan.
Wir aber bleiben standhaft und erfüllen unseren Auftrag, ob wir dafür von unseren Feinden verleumdet werden oder von unseren Freunden gelobt.
Wir gelten in den russischen Medien als Betrüger und sagen doch die Wahrheit.
Wir werden von unseren Angreifern verkannt und sind doch in aller Welt anerkannt.
Wir sind vom Tod bedroht, und seht doch: Wir leben!
Wir geraten in Trauer um die vielen Toten und bleiben doch fröhlich.
Wir sind arm und machen doch viele reich.
Wir haben nichts und besitzen doch alles!
Manches, was wir gerade aus der Ukraine hören, klingt genau so. Die russischen Angreifer mögen militärisch überlegen sein. Aber der ukrainische Widerstandswille ist stark, und viele wollen sich dem Aggressor nicht beugen. Sie leben das Dennoch. Aus dem Freiheitswillen vieler ukrainischer Menschen erwächst eine große innere Stärke, die sich dann auch in äußerer Stärke zeigt.
Tatsächlich habe ich nicht einen Text aus der Ukraine zitiert, sondern etwas, das die Apostel Paulus und Timotheus an die Gemeinde in Korinth geschrieben haben:
Paulus und Timotheus, wir als Gottes Mitarbeiter, bitten euch: Behandelt die Gnade Gottes nicht wie Abfall. Denn Gott spricht:
»Ich habe dich zur rechten Zeit erhört
und dir am Tag der Rettung geholfen.«
Seht doch! Jetzt ist genau die richtige Zeit.
Seht doch! Jetzt ist der Tag der Rettung.
Wir wollen auf gar keinen Fall in irgendeiner Sache Anstoß erregen.
Denn unser Dienst soll nicht in Verruf geraten.
Vielmehr beweisen wir in jeder Lage, dass wir Gottes Diener sind:
Mit großer Standhaftigkeit ertragen wir Leid, Not und Verzweiflung.
Man schlägt uns, wirft uns ins Gefängnis und hetzt die Leute gegen uns auf.
Wir arbeiten bis zur Erschöpfung, wir schlafen nicht und essen nicht.
Zu unserem Dienst gehören ein einwandfreier Lebenswandel,
Erkenntnis, Geduld und Güte, der Heilige Geist und aufrichtige Liebe.
Zu unserem Dienst gehören außerdem die Wahrheit unserer Verkündigung
und die Kraft, die von Gott kommt.
Wir kämpfen mit den Waffen der Gerechtigkeit,
(mit dem Schwert zum Angriff) in der rechten
und (mit dem Schild zur Verteidigung) in der linken Hand.
Wir erfüllen unseren Auftrag,
ob wir dadurch Ehre gewinnen oder Schande,
ob wir verleumdet werden oder gelobt.
Wir gelten als Betrüger und sagen doch die Wahrheit.
Wir werden verkannt und sind doch anerkannt.
Wir sind vom Tod bedroht, und seht doch: Wir leben!
Wir werden ausgepeitscht und kommen doch nicht um.
Wir geraten in Trauer und bleiben doch fröhlich.
Wir sind arm und machen doch viele reich.
Wir haben nichts und besitzen doch alles!
(2. Korinther 6, 1-10)
Wie kommt man zu solcher Stärke, fröhlichen Gelassenheit und ruhiger Gewissheit? Wie erlangt man solchem Mut und solche Widerstandskraft? (Die übrigens, auch wenn Paulus von Schwert und Schild spricht, ganz friedlich bleibt; das sind Bilder für eine Auseinandersetzung mit Worten, nicht mit Waffen). Was muss geschehen, damit man sagen kann: Wir haben nichts – nämlich nichts Materielles – und besitzen doch alles – nämlich die Liebe Gottes? Was für ein Glaube ist das, in dem man sagen kann: Wir werden vom Tode bedroht – und siehe: Wir leben?
Das Wort, von dem Paulus ausgeht und zu dem er auch die Gemeinde in Korinth aufruft ist Dienst. Auf Griechisch: diakonia. Das sind ganz praktische Tisch- und Haushalts- und Versorgungsdienste, wie Martha und etwas weniger ihrer Schwester Maria sie tun (Lk 10,40). Oft Frauenarbeiten, damals auch Sklavenarbeiten. Einen diakonischen Dienst tut man aber auch, wenn man verkündigt, also in der einen oder anderen Weise vom Frieden Gottes und der Versöhnung durch Jesus Christus spricht (Apg 6,1-2). Und Diakonie ist schließlich auch, wenn man ein Amt in der Kirche übernimmt, wenn man die Gemeinde leitet.
Egal, was man tut, es ist keine selbst gewählte Aufgabe, und sie dient auch nicht der Selbstverwirklichung. Ich weiß, Ämter und Ehrenämter werden heute gerne so verstanden, dass man darin Erfüllung für sich selbst findet, und diese Auffassung des freiwilligen Engagements hat auch ihre Berechtigung.
Aber das Dienen in der christlichen Gemeinde hat einen anderen Ursprung. Es hat einen Grund und der ist Jesus Christus (2. Kor 5,18). Er beauftragt uns und sendet uns in die Welt, damit wir arbeiten (Mt 10, 16-22). Arbeiten mit Geduld und Güte und aufrichtiger Liebe. Wenn es sein muss, ohne Schlaf.
Jesus Christus ist der erste Diakon. An ihm können wir ablesen, was das für ein Dienst ist und wohin er uns führt. Er verbindet unsere Wunden. Er heilt unsere Gebrechen. Er wäscht uns die Füße. Er macht reinen Tisch und rechnet uns unsere Schuld nicht an. Wie kämen wir sonst dazu, uns mit ihm an einen Tisch setzen zu dürfen! Er öffnet die Tür und lädt uns ein.
Als Jesus die Seinen in Jerusalem zu einer letzten Mahlzeit eingeladen hat, als er seinen Tischdienst vollzieht und gerade das Brot gebrochen hat und es austeilt - genau da fährt der Satan in Judas Iskariot hinein (Joh 13,27). Der wird ihn verraten, und Jesus reicht ihm dennoch das Brot. Hier handelt der ohnmächtige Mensch, der leiden wird. Und dennoch handelt hier auch der allmächtige Gott, der Frieden schafft. Und in diesem Dennoch liegt die ganze Kraft. Da kommt sie her - auch für uns.
Jesus Christus hat einen gefahrvollen Beruf, ein schweres Amt, er wird daran sterben. Ihm geschieht das, wovon Paulus und Timotheus schreiben: Man hetzt die Leute gegen ihn auf. Er wird geschlagen und ins Gefängnis geworfen, man lässt ihn nicht schlafen. Er wird verspottet und verleumdet, und das wenige was er hat, wir ihm auch noch geraubt. Und er stirbt, dieser erste Diener, der Sohn Gottes. Er stirbt am Kreuz.
Und seht doch: Er lebt.
Und so geht es allen, die in diesen Versöhnungsdienst treten. So geht es allen, die sich in den Tischdienst einspannen lassen, Abwasch und Müll wegbringen einbegriffen. Die sich in den Verkündigungsdienst nehmen lassen, Spott und Desinteresse gibt’s gratis dazu. So geht es allen, die in ein Amt einrücken und den Menschen nicht ihre Sünden auftischen, sondern eine warme Mahlzeit oder was immer sie brauchen.
Es ist beides zugleich in der Nachfolge dieses ersten Diakons.
Mitten in Hunger und Krieg feiern wir, was verheißen ist: Fülle und Frieden.
Mitten in Drangsal und Tyrannei feiern wir, was verheißen ist: Hilfe und Freiheit.
Mitten in Zweifel und Verzweiflung feiern wir, was verheißen ist: Glauben und Hoffnung.
Mitten in Sünde und Hinfälligkeit feiern wir, was verheißen ist: Rettung und Neubeginn.
So fasst das ein Text der Weltkirchenkonferenz in Vancouver 1983 zusammen.
Es gibt Leute, die flüchten sich angesichts des Leidens in sanfte spirituelle Welten.
Und es gibt andere, die lassen sich auf ein rosafarbenes Jenseits vertrösten.
Und die dritten starren auf das Unheil und lassen sich davon lähmen.
Paulus und Timotheus aber sind realistisch. Sie sagen mit einem Wort des Propheten:
Seht doch! Jetzt ist genau die richtige Zeit.
Seht doch! Jetzt ist der Tag der Rettung.
Wir lassen die Wirklichkeit von Not und Verzweiflung gelten und wischen sie nicht weg. Aber wir setzten ihr das Dennoch Gottes entgegen.
Wir definieren nach dem Vorbild des ersten Diakons diese Zeit des Unheils dennoch als die Zeit des Heils. Wir sehen in denen, denen Unrecht getan wird, nicht nur Opfer, sondern auch Menschen, die zum Heilwerden ihrer Mitmenschen beitragen können. Wir lassen uns nicht die ewiggleiche Wiederholung von Vergeltung und Hass aufdrücken, sondern werden dennoch zu Akteuren unserer Geschichte und gestalten sie ganz neu als Dienst der Versöhnung. Wir lassen uns als Diener Aufträge geben, die wir uns nicht selbst ausgesucht haben. Aber indem wir sie ausführen, finden wir zu uns selbst und teilen reichlich Wohltaten aus.
Wir haben die Kraft des Dennoch durch Jesus Christus.
Er macht uns reich, wenn wir arm sind.
Er lässt uns leben, wenn wir uns preisgeben.
Er zeigt uns wie wir uns ergeben. Und befreit uns zum tatkräftigen Widerstand.
In der Ukraine und überall.
Amen.
Pastor Klaus Kramer
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