Aus dem Geist geboren

Aus dem Geist geboren

Aus dem Geist geboren

# Gottesdienste/Spirituelle Angebote

Aus dem Geist geboren

In der Kita habe ich ein Bilderbuch gezeigt: „Der Besuch“ von Antje Damm. Eine vereinsamte alte Dame wird durch einen kleinen Jungen zurück ins bunte Leben geholt. Die ersten Bilder sind noch ziemlich düster, weil darin die traurige Situation von Elise geschildert wird. Als ich den Kindern die Bilder zeigte, riefen sie immer wieder: „Da ist ein Geist!“ Unter der Treppe, hinter der Tür, vor dem Fenster: überall sahen die Kinder Geister. Sehen wir Erwachsenen nicht auch dauernd Geister, die es gar nicht gibt – und nehmen den einen guten Geist nicht wahr, der von Gott kommt?

Über den Geist Gottes führt Jesus ein nächtliches Gespräch mit Nikodemus. Nikodemus ist für religiöse Fragen offen, vielleicht sogar ein Sympathisant von Jesus.

Unter den Pharisäern gab es einen, der Nikodemus hieß. Er war einer der führenden Männer des jüdischen Volkes. Eines Nachts ging er zu Jesus und sagte zu ihm: »Rabbi, wir wissen: Du bist ein Lehrer, den Gott uns geschickt hat. Denn keiner kann solche Zeichen tun, wie du sie vollbringst, wenn Gott nicht mit ihm ist.«

Jesus antwortete: »Amen, amen, das sage ich dir: Nur wenn jemand neu geboren wird, kann er das Reich Gottes sehen.«

Darauf sagte Nikodemus zu ihm: »Wie kann denn ein Mensch geboren werden, der schon alt ist? Man kann doch nicht in den Mutterleib zurückkehren und ein zweites Mal geboren werden!«

Jesus antwortete: »Amen, amen, das sage ich dir: Nur wenn jemand aus Wasser und Geist geboren wird, kann er in das Reich Gottes hineinkommen.

Was von Menschen geboren wird, ist ein Menschenkind. Was vom Geist geboren wird, ist ein Kind des Geistes. Wundere dich also nicht, dass ich dir gesagt habe: ›Ihr müsst von oben her neu geboren werden.‹ 

Auch der Wind weht, wo er will. Du hörst sein Rauschen. Aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. Genauso ist es mit jedem, der vom Geist geboren wird.« Johannes 3,1-8

Nikodemus geht vom natürlichen Menschen aus. Wir haben ja von Natur her einen Körper mit seinen Bedürfnissen, seiner Kraft und Schwäche, mit den Sinnen und Gefühlen. Wir haben eine Seele: unsere Wünsche, Interessen und Begierden, unsere Ideen und Visionen, unsere Urteile und Vorurteile, unsere Vorstellungen und unser Wahn, all das Psychische.

Der natürliche Mensch bringt das mit. So sind wir geboren, so sind wir Menschenkinder. Und so leben und verhalten wir uns als natürliche Menschen. Wir führen unser Leben – oder denken jedenfalls, dass wir es führen – und vertrauen auf die eigenen Kräfte. Selbstbestimmung ist für uns einer der höchsten Werte. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Da möchte er leben, wie es ihm gefällt. Da sucht der Mensch natürlich seinen Vorteil. Da sorgt er natürlich erstmal für sich und die Seinen. Da läuft natürlich das ganze biologische Urmenschen-Programm, das noch in uns steckt, mit Geiz und Geilheit, aber auch mit Liebe und Hingabe. Auch die Fürsorge und der Gerechtigkeitssinn sind ja natürlich in uns angelegt. So sind wir Menschen mit Leib und Seele. Das ist manchmal schön und manchmal schrecklich. Das ist das, was ist – und davon geht Nikodemus aus.

In dieser Welt vertraut der Mensch auf sich und seine Kräfte. Die reichen sehr weit, im Guten wie im Bösen. Wozu ist der Mensch nicht alles fähig mit seinen körperlichen Kräften und all den Maschinen, die er sich geschaffen hat: Baumaschinen und Tötungsmaschinen! Wozu ist der Mensch nicht alles fähig mit seinen seelischen Kräften: mit seiner Neugier, seinem Erfindungsreichtum - und mit seiner Bosheit und Missgunst!

Und wo er nicht hinreicht – dahin setzt sich der Mensch einen Gott. Das nennt man Religion. Ein Gott von des Menschen Gnaden. Immer wieder gibt es ja Situationen, in denen unsere Unfähigkeit deutlich wird, die Dinge zu steuern. Wo wir unsere Machtlosigkeit, unser Unvermögen, unsere mangelnde Einsicht spüren. Und dann stellen wir uns einen Gott vor, den wir in diese Lücke stellen. Ein Gott, dem wir die Schuld geben können an allem, was nicht klappt. Oder einen Gott, von dem wir uns in irrationaler Weise Hilfe erwarten. Die Götter der Religionen sind berechenbar und bestechlich. Sie lassen sich magisch beeinflussen, wie kleine Kinder, die sich etwas erhoffen, wenn sie nicht auf die Ritzen der Gehwegplatten treten. Unsere Erwachsenenwelt ist voll von Magie, von irrationalen Glauben, von Göttern, denen wir willfährig Opfer bringen, von bösen Geistern, die wir zu bezwingen versuchen.

So ist das in unserer natürlichen Welt, in der wir mit Leib und Seele leben. Wo wir Menschenkinder sind. Das ist das, was ist. Davon geht Nikodemus aus.

Aber das, was ist, ist eben noch nicht alles, und das macht ihm Jesus deutlich. Ganz zu Recht nennt Nikodemus Jesus ein Rabbi, ein Lehrer. Nur dass wir religiösen Menschen so unsere Schwierigkeiten haben, es zu verstehen.

Denn das was ist – das ist noch nicht alles. Wir sind natürliche Menschen, von einer Mutter geboren, Menschenkinder. Wir sind aber auch geistliche Menschen, von Gott geboren und Gotteskinder. Wir sind das aber nicht aus uns heraus, aus unseren Möglichkeiten, Wünschen und Idealen. Wir sind geistlich nur von Gott her. 

Es ist ein Geschenk. Eine Gabe. Etwas, das wir nicht selbst herstellen, sondern ausschließlich empfangen. Dieser Geist ist unverfügbar. Dass wir geistlich sind – das haben wir nicht in der Hand.

Bei allem anderen können wir wenigstens versuchen, es in den Griff zu bekommen. An unserer Bildung und Karriere können wir arbeiten, unsere Gesundheit durch Sport verbessern, unsere Beziehungen klären usw. Selbst an unseren Gefühlen können wir arbeiten. Und noch an dem, was wir nicht mehr beeinflussen können, versuchen wir es noch mittels der Religion.

Aber hier, wo sich Gott mit uns verbindet – wo wir neu geboren werden aus dem Geist – da können wir nichts tun. Das ist Glaube.

Glaube ist, nichts von sich zu erwarten, aber alles von Gott.

Glaube ist, nicht auf die eigene Stärke, Potenz oder Macht zu vertrauen, aber auf Gott.

Glaube ist, die Gegenwart Gottes in jeder Faser unseres Daseins für die wirklich wirksame Wirklichkeit zu halten.

Das ist unsere geistliche Wirklichkeit, die die leibliche und seelische in allem umfasst und durchdringt, wie Gott ja auch alles umfasst und durchdringt. Das ist die Wirklichkeit, in die wir nicht hineingeboren werden von unserer Mutter, sondern in die wir hinein getaucht werden bei der Taufe. Es ist die Wirklichkeit, über die wir nicht verfügen, sondern die über uns verfügt. Es ist der Wind, der weht, wo er will.

Hier ist das Reich der Möglichkeiten. Das Reich der Freiheit. 

Hier, in diesem Glauben, der gerade nicht Religion ist, sind wir wirklich frei. Und alles ist uns möglich.

Hier werden wir von Gott her gedacht. 

Hier müssen wir uns nicht mehr selbst umarmen, hier werden wir von Gott geliebt. Und das ist eine andere und treuere Liebe als unsere launenhafte Menschenliebe.

Wer vom Geist geboren ist, muss sich nicht mehr selbst verbessern. Muss sich nicht anstrengen, weil alles schon getan und gut ist. Wer vom Geist geboren ist, muss sich nicht mehr am Riemen reißen, weil es auf die Dressur der eigenen Kräfte gar nicht mehr ankommt. In diesem Glauben ist nichts erzwungen. Alles ist Geschenk. Alles ist möglich, gerade weil es uns nicht verfügbar ist.

Diese unverfügbare und unfassbare Wirklichkeit, von der die Zeichen und Wunder, die Jesus tut, nur ein matter Abglanz sind, bricht in dem Bilderbuch in das Leben der alten Dame ein. Sie will das eigentlich gar nicht, sie will lieber für sich bleiben. An ihre Tür hat sie ein Schild gehängt: „Bitte nicht stören“. Aber dann trägt der Wind, der weht, wo er will, den Papierflieger in ihrer Wohnung. Den Papierflieger, den ein kleiner Junge gebastelt hat. Und als Emil an ihre Tür klopft und sie aufmacht, obwohl sie das doch eigentlich gar nicht will, da kommen die Farbe und das Glück in ihr Leben zurück. Die Erinnerungen an all das Schöne, das sie erlebt hat. Die Freude, ihr Leben mit jemandem zu teilen. Da zieht sich eine Regenbogenspur durch ihre Wohnung. Alle Geister sind vertrieben, weil Gottes guter Geist eingezogen ist.

Pastor Klaus Kramer

Dies könnte Sie auch interessieren

0
Feed