Bin ich's?

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Bin ich's?

„Als sie zusammen saßen wurde Jesus sehr traurig und sagte ihnen ganz offen: »Amen, ich versichere euch: Einer von euch wird mich verraten.« Seine Jünger sahen sich ratlos an und fragten sich, wen er meinte.  Der Jünger, den Jesus besonders lieb hatte, saß neben ihm. Simon Petrus gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen: »Frag du ihn, von wem er spricht!«  Da rückte er näher an Jesus heran und fragte: »Herr, wer ist es?« Jesus sagte zu ihm: »Ich werde ein Stück Brot in die Schüssel tauchen, und wem ich es gebe, der ist es.« Er nahm ein Stück Brot, tauchte es ein und gab es Judas, dem Sohn von Simon Iskariot. Sobald Judas das Brot genommen hatte, nahm der Satan ihn in Besitz. Jesus sagte zu ihm: »Beeile dich und tu, was du tun musst!« Keiner von den Übrigen am Tisch begriff, was Jesus ihm da gesagt hatte. Weil Judas das Geld verwaltete, dachten manche, Jesus habe ihn beauftragt, die nötigen Einkäufe für das Fest zu machen, oder er habe ihn angewiesen, den Armen etwas zu geben. Nachdem Judas das Stück Brot gegessen hatte, ging er sofort hinaus. Es war Nacht.“

Wenn ich über das Thema „Verrat“ nachdenke, dann bin ich mit meinen Gedanken schnell bei dem Buch „Die Brüder Löwenherz“ von Astrid Lindgren, in dem ich bis heute sehr gern lese. 

Dort leben die Bewohner des Heckenrosenthals unter der schrecklichen Herrschaft von Tengil, der die Menschen verknechtet und ausbeutet. Der Widerstand gegen ihn formiert sich, auch im benachbarten Kirschtal. Da wird am Sturz des Herrschers geplant, doch bald merkt man, dass ein Verräter in den eigenen Reihen ist. Jemand, der die Drahtzieher Tengil ausliefern will. Schnell fällt der Verdacht auf Hubert, den Skeptiker, der verschlossen und manchmal ziemlich ruppig ist. Ihm konnte ich als Kind durchaus zutrauen, dass er etwas Böses im Schilde führte. Doch dann stellte sich heraus: Der wahre Verräter war Jossi, der Wirt der Dorfkneipe. 

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sich meine Augen mit Tränen füllten als mir die Geschichte zum ersten Mal vorgelesen wurde. Der Schreck war groß, denn Jossi war doch immer besonders nett gewesen. Und seltsamerweise blieb er das auch. Trotz der grausigen Pläne, zu denen er wichtige Informationen beitrug, war es ihm wichtig, dass dem kleinen Karl, der Hauptperson im Buch, nichts passieren sollte. Und so verstand ich: Jossi war kein Superschurke, wie es ihn in anderen Märchen gibt. Jossi war ein Mann, der sowohl Nettes als auch Böses tun konnte. 

Man darf sein Kind nicht Judas nennen. Das ist in Deutschland verboten. Der Name ist einfach zu negativ belastet und mit so viel Schuld verbunden, dass man es einem Menschen nicht zumuten möchte, diesen Namen zu tragen. Judas ist quasi ein Schimpfwort, heute eher selten verwendet, doch früher recht verbreitet. Als „Judas von Meißen“ wurde der Fürst Moritz von Sachsen im 16. Jahrhundert beschimpft als er trotz seiner evangelischen Herkunft auf Seiten des Kaisers gegen die Protestanten kämpfte.

Judas, der Verräter. Ihn als bösen und verdorbenen Menschen darzustellen, das wäre so einfach. Wie viele Menschen werden dieser Versuchung erlegen sein. Die Judaslegende aus dem Mittelalter gibt einen Eindruck davon, was Menschen aus Judas gemacht haben:

„Motive aus den Moseerzählungen, aber auch aus den Ödipussagen werden dort mit ihm verbunden: So heißt es da, dass seine Mutter Cyborea eines Nachts davon träumte, einen Sohn zu bekommen, der dazu bestimmt war, das ganze jüdische Volk zu zerstören. Als sie dann tatsächlich einen Jungen zur Welt bringt, wird dieser in einer kleinen Kiste auf dem Meer ausgesetzt. Die Kiste landet an der Insel Skarioth. Dort wird das Kind von der Königin, die selbst bisher keine Kinder hatte, entdeckt und am Hof großgezogen. Nach einiger Zeit bekommt sie selbst einen Sohn. In der Folge kommt es zwischen ihm und Judas immer wieder zum Streit. Nachdem die Königin dem Judas im Zorn seine Herkunft offenbart hat, ergreift Judas die erstbeste Gelegenheit, den eigentlichen Sohn der Königin umzubringen, und flieht nach Jerusalem. Dort findet er einen Platz im Gefolge des Pilatus. Als er einmal für Pilatus eine bestimmte Frucht aus dem Garten des Nachbarhauses holen will, kommt es zwischen ihm und dem Gartenbesitzer zum Streit, und Judas erschlägt seinen Kontrahenten und heiratet dessen Witwe, ohne zu wissen, dass es sich um seinen Vater Reuben und seine Mutter Cyborea handelt. Als Cyborea ihm später einmal ihre Lebensgeschichte erzählt, erkennt Judas, was er getan hat. Voll Reue beschließen beide, dass sich Judas an Jesus wenden solle. Er wird zum bevorzugten Jünger im Kreis Jesu, doch bald setzt sich die Bosheit seines inneren Wesens wieder durch.“ (zitiert aus https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/judas-iskarioth/ch/87311509863494532bc01866bf341815/#h12)

Soweit die Judaslegende, eine Fantasie, nach der der Verrat von einem Menschen begangen wurde, von dem man wenig Gutes erwarten darf.

Judas, ein von Grund auf verdorbener böser Mensch? Der Ausdruck „Sohn des Verderbens“ im Johannesevangelium kann solche Vorstellungen wach rufen. Doch in der Geschichte vom Verrat selbst wird Judas in gewisser Weise vor der Verteufelung geschützt. Und zwar indem der Teufel höchstpersönlich eingeführt wird. 

Mit dem Wesen mit spitzem Schwanz und Hörnern kann ich wenig anfangen. Auch das ein Fantasieprodukt, das uns die Kunst vor Augen gemalt hat. Doch womit ich gut etwas anfangen kann ist, die Vorstellung, von einer zerstörerischen Macht überwältigt zu werden und nicht mehr Herr seiner selbst zu sein. Das gibt es im Großen und im Kleinen. Es gibt Aggressionen, die sich aufstauen und sich plötzlich ihre Bahn brechen, es gibt Wut, die einen toben lässt. Es gibt Dinge, die man sagt und tut, bei denen man im Nachhinein denkt: Was war das? So bin ich doch eigentlich gar nicht! 

Trage ich dann trotzdem die Verantwortung? Ich denke ja, zumindest einen Teil. Aber wichtig bleibt der Gedanke, dass Böses nicht zwangsweise durch böse Menschen geschieht. Sondern von Menschen, die freundlich und fürsorglich sein können so wie es Jossi war und Judas sicherlich auch. Böses geschieht von Menschen mit unterschiedlichen Seiten, wie wir sie alle in uns tragen. Menschen, die der Versuchung von außen unterliegen oder den inneren Emotionen überwältigt werden.

Es war Judas, der den Verrat beging. Aber hätte es auch jemand anderes sein können. Wer ist es? fragen die Jünger besorgt. Weil es eben nicht klar ist, dass es ja nur einer sein könnte. So klar sind die Dinge eben nicht. Das Matthäusevangelium geht an dieser Stelle sogar noch weiter. Bin ich's? fragen dort die Freunde Jesu am Abendmahlstisch, als Jesus von dem Verräter unter ihnen erzählt. Bin ich’s?  Diese Frage finde ich besonders faszinierend. Denn diejenigen, die sie aussprechen wissen um ihre eigenen Schwächen. Ihnen ist bewusst, dass unter bestimmten Bedingungen jeder zum Täter werden kann.

Warum ist das passiert? Diese Frage stellt man sich oft, wenn ein Verrat oder Verbrechen geschieht. Doch ebenso wichtig ist auch die Frage: Hätte man das verhindern können?

Nicht in diesem Fall, glaubt der Evangelist Johannes. Für ihn gehört der Verrat des Judas zu einem größeren Plan Gottes, der auf die Kreuzigung und schließlich auf die Auferstehung zielte. 

Doch davon ausgehend anzunehmen, dass wir dem, was in dieser Welt passiert hilflos ausgeliefert sind, wäre falsch. Es bleiben die biblischen Aufforderungen, dem, was nicht dem Guten dient, aktiv entgegen zu treten. Es bleibt der Gedanke, dass wir etwas bewirken, dass wir Schlimmes verhindern können. 

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ so heißt einer der beliebtesten Konfirmationssprüche. Frei übersetzt: Arbeite an deinen Aggressionen, deinen Abneigungen und Fantasien. Finde einen Weg mit ihnen umzugehen - ohne dich von ihnen überwältigen zu lassen. Ohne dabei anderen zu schaden.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Schau welch ein Umfeld, wir für andere schaffen und wie Menschen finden können, was sie brauchen. Schau, wie du die guten Seiten in dir und in den anderen stärken kannst.

Wir leben mit Verletzungen und mit Verrat. Doch wir können dem etwas entgegen setzen. Unterschätzen wir nicht die Macht des Guten.

Pastorin Carolin Joppig

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