02/07/2024 0 Kommentare
Die Neue
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# Gottesdienste/Spirituelle Angebote
Die Neue
Darf ich vorstellen: Es gibt eine Neue! Sie heißt Rut!
Seit dem ersten Advent 2018 gibt es eine aktualisierte Liste der Texte und Lieder, die dem Gottesdienst zugrunde liegen. Für jeden Sonn-, Fest- und Feiertag werden dort unter anderen Stücken sechs Bibeltexte vorgegeben. Zum Beispiel findet sich in dieser Liste immer das zu lesende Evangelium. Auch der Predigttext ist dort verzeichnet. Für jeden Gottesdienst wird im ersten Jahr der erste Bibeltext gepredigt, im zweiten der zweite und so weiter, bis nach sechs Jahren wieder von vorn begonnen wird.
An diesem Sonntag ist es nun wieder einmal soweit: Ein Bibeltext, der vorher nicht in der Liste war, sondern neu dazugekommen ist, wird zum ersten Mal gepredigt. Ich darf also vorstellen: Die Neue, Rut!
Genau genommen heißt das biblische Buch erst einmal so: Der Predigttext ist aus dem Buch "Rut", 1. Kapitel, die ersten 19 Verse. Es ist gut möglich, dass Sie dieses Buch nicht kennen, selbst wenn Sie die Bibel öfter mal zur Hand nehmen. Denn das Buch Rut ist kurz, gerade einmal vier Seiten zählt die kleine Geschichte – gegenüber den 1400 Seiten, die meine Ausgabe insgesamt fasst. Das überblättert man leicht mal.
Dennoch bin ich sehr froh, dass Rut jetzt zu den gottesdienstlich zu lesenden Texten gehört. Denn es ist erstens schön und zweitens interessant! Schön ist es, weil es gute Literatur ist. Es gibt eine klar begrenzte Anzahl an Hauptpersonen: Es geht um Noomi, eine vom Schicksal – oder von Gott? – gebeutelten Frau. Es geht um Rut, Noomis Schwiegertochter, die eine schwere Entscheidung treffen muss und doch ein Vorbild in Sachen Mut ist. Und um Boas, der, sagen wir, ein wahrer Gentleman ist. Die Geschichte ist gut gemacht, weil sie einen eindeutigen Spannungsbogen ohne lästige Seitenschauplätze bietet und weil sie nicht viel erklärt, sondern ihre Charaktere durch viele Dialoge entwickelt.
Darüber hinaus ist die Geschichte auch noch interessant. Sie erzählt viel über Gott, aber nicht übereindeutig durch Gebote, lange Reden aus der Wolke oder Wundertaten, sondern ganz feinsinnig. Die Leichtigkeit der Erzählung bleibt durchlässig für unsere eigenen Fragen. Immerzu lässt sich denken: Müsste so nicht auch Gott für uns sein – und wir für Gott?
Ein Beispiel: Am Anfang der Geschichte, als von Boas noch nicht die Rede ist, geht es Noomi und Rut miserabel: Sie sind auf der Flucht vor Hunger und sie sind allein, denn ihre beiden Männer sind gestorben. Die nüchterne Analyse zeigt: Die besten Chancen lassen sich ausrechnen, wenn sie getrennte Wege gehen. Auch wenn das bedeutet, das Band zwischen beiden schmerzenden Herzens zu zerschneiden. Doch Rut entscheidet sich für das Wagnis, bei Noomi zu bleiben, mit ihr zu gehen und so in der für Rut selbst fremden Heimat Noomis zu leben, bei einem unbekannten Volk, unter einem unbekannten Gott.
Mich beeindruckt die Entschiedenheit, mit der sie allen Einwänden entgegnen kann. Rut hat eine Entscheidung getroffen und sie besitzt die Kraft, zu dieser Entscheidung zu stehen. Wie gern würde ich so klar und entschieden durch mein Leben gehen, gerade in diesem ungewissen Winter. Ich kann fragen, wie macht sie das? Ich ahne, sie besitzt die Stärke, sich selbst nicht immer wieder selbst anzweifeln zu müssen. Rut ist eine, die "ja" zu sich selbst sagen kann. Weil sie trotz der miserablen Situation das Gute sehen kann, das ihr passiert ist? Wie dass sie auf Noomi getroffen ist? Weil Noomis Gott, der Gott Israels, sie zu allererst zusammengebracht hat? Ich kann in ihr eine sehen, die sich unter Gottes gutem Blick und mit seinem Segen für ihr Leben entscheidet.
Zu solchen Entdeckungen reizt das Buch Rut, ohne sie aufzuzwingen. Es ist ein Kleinod der Literatur im Alten Testament. Am Ende gibt die Geschichte Ruts noch den Ausblick, König David stamme von ihr ab. Was im Neuen Testament wieder aufgegriffen wird, denn Josef, Marias Mann, ist aus dem Hause und Geschlechte Davids. Rut kann also als Stammmutter Jesu gesehen werden. Ein Kleinod also mit wichtigen Verwandten.
Wenn ihnen die Literatur auf dem Nachttisch einmal ausgegangen ist und sich eine Lücke zwischen dem einen und dem anderen Buch auftut, dann kann ich Ihnen für einen Abend die vier Kapitel des Buches Rut empfehlen: Was werden Sie wohl entdecken?
Vikar Stefan Fippel
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