02/07/2024 0 Kommentare
Trotzdem Danke!
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# Gottesdienste/Spirituelle Angebote

Trotzdem Danke!
„Ernte am Meer“ - so heißt das Bild, das der Künstler Paul Gauguin im Jahr 1890 gemalt hat. Das Bild zeigt eine Landschaft an der Küste der Bretagne, für die Gauguin vier Jahre zuvor Paris verlassen hatte. Kräftige Farben und starke Kontraste prägen das Bild. Das leuchtende Gelb des Kornfelds vorn und die dunkle Küste und der Ozean im Hintergrund. Die große Weite der Landschaft wird eingefangen, so dass der Blick vom Korn über die Felder, das Meer bis hin zum anderen Küste gleitet.
„Nicht die harte Arbeit der Frauen ist gemalt, sondern der Gesamteindruck einer Natur, die mit sich im Gleichklang ist: Der Mensch ist Teil davon. Das Tier als Begleiter wie selbstverständlich dabei. Man möchte sich dort auf die Wiese setzen, den Alltag vergessen, sehen wie das Korn geerntet wird, die Boote ihre Spur im Wasser ziehen. Das Bild ist wie ein Fluchtpunkt heraus aus dem Getriebe und der Hektik der Welt.“ so hat ein Kollege seinen Eindruck von diesem Kunstwerk beschrieben. Ich dagegen empfinde beim Betrachten des Bildes anders. Die Landschaft ist zwar wunderschön gemalt. Doch immer wieder wird mein Blick zu den Frauen im Kornfeld zurückgelenkt, deren Haltung mich erschrecken lässt. Wie zusammengeklappt, so wirkt die vordere Frau auf mich. Völlig vornübergebeugt und im Rücken gekrümmt. Wenn ich sie betrachte, dann sträubt sich alles in mir, so könnte ich es keine zwei Minuten aushalten - da bin ich mir sicher. Das Blut würde mir in den Kopf fließen, mir würde übel werden und mein ungelenker Rücken würde schnell zu ziehen beginnen.
Warum knien die Damen sich bloß nicht hin? Das habe ich mich sofort gefragt und weiß die Antwort bis jetzt nicht. Vielleicht haben die Frauen den Morgen über schon die Arbeit im knien verrichtet, so dass sie jetzt ganz unbeweglich geworden sind und das ständige Auf und Ab nicht mehr mitmachen? Deswegen schonen sie jetzt die Knie und belasten Rücken, Nacken und Kopf… Aber kann man in der Haltung wirklich arbeiten?
Ich weiß nicht, ob diese Haltung tatsächlich Gauguins Beobachtung entspricht oder vielmehr seiner Fantasie: Vielleicht ist in dem Gemälde der Arbeiterinnen eine Botschaft an uns versteckt? Eine Erinnerung daran, dass hinter dem, was die einen essen, die Schwerstarbeit anderer verborgen ist? Eine Erinnerung daran, dass die Kosten für das, was wir essen, trinken und konsumieren viel höher sind, als der eigentliche Preis, den wir zahlen?
Sollte dies das Anliegen gewesen sein, dann ist es noch immer aktuell. Zwar haben sich seit dem Jahr 1890 die Bedingungen in der Landwirtschaft vielerorts zwar verändert, doch Probleme gibt es noch immer. Bei viel zu vielen Produkten, die wir kaufen, wird die Gesundheit anderer auf’s Spiel gesetzt. Zu lange Arbeitstage, zu wenig Pausen, zu wenig Geld, zu harte Arbeit und zu wenig Schutz. Das gibt es auf den Feldern, Plantagen und den Fabriken zahlreicher Länder dieser Welt und anscheinend auch in Deutschland. Neben die Gedanken an benachteiligte Menschen aus anderen Ländern, treten vor mein inneres Auge dieses Jahr die Erinnerungen an die Berichte von Arbeitern und Arbeiterinnen in deutschen Schlachthöfen, deren Arbeitsbedingungen in den Fokus rückten, als so viele sich am Coronavirus infizierten. Dass sie sich bei ihrer Arbeit wohl fühlen, ausreichend verdienen und geschützt sind, das schien in manchen Betrieben nicht sonderlich wichtig zu sein. Hauptsache der Preis stimmt.
Berichte über diese Vorfälle sind für mich mit dem Jahr 2020 eng verbunden. Daneben treten andere traurige oder problematische Geschichten. Erzählungen über Kurzarbeit, weniger Einnahmen, Insolvenzen, Arbeitslosigkeit, Existenz- und Zukunftsängste. Zahlreichen Menschen wurde in den letzten Monaten ziemlich viel zugemutet. Und so halte ich es für wichtig, auch in unseren Gottesdiensten Raum für Klage einzuräumen, also die Möglichkeit, das vor Gott zu bringen, was schief läuft.
Die Sorgen, den Ärger und die Trauer auszusprechen - das ist wichtig. Doch wichtig ist auch, den Dank nicht zu vergessen.
„Trotzdem danke“ - diesen Titel trägt ein Gottesdienstentwurf für einen Erntdankgottesdienst in der Coronazeit, den ich gefunden habe. Und er hat mich so angesprochen, dass ich ihn übernommen habe. Trotz allem Danke sagen und den Blick auf das wenden, was hilft.
Danke für Essen, das stärkt und Kraft für die Herausforderungen schenkt. Danke für Zeichen der Zuneigung, die trösten und Mut machen. Danke für konkrete Hilfsmaßnahmen. Danke für die Natur, deren Schönheit, deren Werden und Wachsen uns so gut tut. Einige Menschen haben dieses Jahr eine besondere Wertschätzung für die Natur gefunden. Während des Lockdowns ist der Spaziergang besonders beliebt geworden und auch Kleingärten wurden vermehrt genutzt, gekauft und gepachtet. Sich im Grünen zu bewegen, zu pflanzen, gießen und zu ernten oder einfach nur zu beobachten - das ist ein wohltuender Ausgleich. Das beruhigt und stimmt optimistisch. Denn die Natur lehrt, dass viele Krisenzeiten gemeistert werden können, wenn wir bereit zur Veränderung sind.
Sie zeigt, dass kleine Anfänge große Wirkung entfalten können, wenn wir ihnen ihre Zeit zugestehen.
Auch in der Bibel wird immer mal wieder auf die Natur verwiesen, um den Menschen Mut oder Trost zu schenken. So erwähnt Jesus etwa ein Senfkorn, als er vom Wachsen des Reich Gottes erzählt:
„Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinem Acker säte, das ist das kleinste unter allen Samenkörnern, wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, dass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen.“
Manchmal beginnt Gottes Wirken, manchmal beginnt eine gute Veränderung im eigenen Leben ganz klein und gewinnt dann immer mehr an Kraft. Daher lohnt es sich, weiter dran zu bleiben an dem, was uns richtig erscheint. Es lohnt sich, zu hoffen und durchzuhalten.
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