Einen Gottesdienst vorbereiten

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# Gemeindeleben

Einen Gottesdienst vorbereiten

Wer mich kennt, weiß es längst. Schon in der Uni in Marburg habe ich gern in der Cafeteria gesessen, um zu arbeiten. Ich gehöre zu denen, die lieber an einem öffentlichen Platz sitzen, wenn es darum geht, auf gute Gedanken zu kommen. So bin ich ab und zu vormittags in diesem oder jenem Café außerhalb Findorffs (!) zu finden, mit der Bibel, einem Fachbuch, Kladde und Stift, einem Tee und neuerdings auch mit dem Tablet um mich herum.

Ich komme immer auf kreative Gedanken, wenn sich um mich her das Leben in seiner Vielfalt zeigt. Schließlich, so sagt es ein Buch über die Aufgabe des Predigens, ist die Predigt ein hin- und herwandern zwischen Predigttext und dem Leben heute, ein hin- und herspringen zwischen 2000 Jahren Menschheits- und Kirchengeschichte.

Jetzt aber ist alles neu: Wie soll ich kreative Gedanken entwickeln, wenn ich ununterbrochen darauf achten muss, dass der Abstand gewahrt ist. Und die vermummten Gesichter bringen mich auch nicht gerade auf inspirierende Gedanken. Und überhaupt: Wer hat vielleicht schon an dem Holzstab rumgegrabbelt, den ich mir nehme, um damit meinen Kaffee umzurühren – heute mal Kaffee statt Tee!

Immerhin: Wir dürfen wieder draußen sitzen. Ich muss mich nicht in eine Liste eintragen. Es ist Leben um mich herum, da singt sogar eine Achtjährige an der Hand ihres Vaters… Die Familie genießt die Sonne – und vielleicht die entspannte Atmosphäre in der Fußgängerzone.

„Ich preise dich, Vater, dass du dein Geheimnis verborgen hast den Selbstgewissen und Klugen und hast es den Toren anvertraut, den Wehrlosen und Getretenen.“ (Matthäus 11, 25)

Das steht in meinem Predigttext für den 21. Juni. Welchen Sinn hat eine solche Pandemie? Will Gott der Überbevölkerung entgegentreten? Wehrt sich die Natur? Ich müsste es wissen, gehöre ich doch zu den Klugen, nach sechs Jahren Theologiestudium und als erfahrener Pastor...

Aber, steht das nicht da in meinem Predigttext, mir hat Gott dieses Geheimnis nicht anvertraut. Es sei denn, ich gehörte zu den Toren, den Wehrlosen und Getretenen. Darüber mehr an anderer Stelle.

„Lernt von mir!“, sagt Jesus seinen Zuhörer*innen ein paar Zeilen weiter. Ich versuche zu lernen von diesem Toren, einem Wehrlosen und Getretenen. Aber was? Auch das sagt er: „Dient Gott, wie ich ihm diene.“ (Vers 29).

Ich blicke mich noch einmal um, und überlege, wie schon so oft, was wohl die Menschen, die hier unterwegs sind, sagen würden zu meinem Predigttext. In diesem Text stehen übrigens auch die Worte, die bis in unsere Tage und unsere Stadt dazu geeignet sind, die Christen zu spalten: „Niemand kennt den Vater als der Sohn allein und die, denen der Sohn ihn zeigt.“ (Vers 27) Würden sich christliche Fundamentalisten zu mir gesellen, müsste ich mich wieder einmal darum streiten, dass es nicht darum geht, mich zu diesem Sohn zu bekehren, sondern anzuerkennen, dass die „Wehrlosen und Getretenen“ mehr von Gottes Geheimnis begriffen haben als andere. Und manchmal sind es gerade die von den „Selbstgewissen und Klugen“ getretenen. Mit diesen Gedanken werde ich wohl in den Gottesdienst gehen, wenn sie sich nicht noch verändern bis dahin. Ich bin froh, dass ich (neben allem Organisieren des Corona-Gemeindelebens) endlich mal wieder in Ruhe einem Predigttext nachgehen konnte.

Jetzt ist der Rest Kaffee kalt, ich trinke ihn aus, setze meine Maske wieder auf und gebe die Tasse im Café zurück. Und dann will ich herausfinden, zu welchen Bedingungen wir ein Brautpaar im Anschluss an die Trauung im Gemeindehaus einen Empfang veranstalten lassen dürfen …

Pastor Norbert Harms

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