02/07/2024 0 Kommentare
Einer trage des andern Last (Galanter 6,1)
Einer trage des andern Last (Galanter 6,1)
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Einer trage des andern Last (Galanter 6,1)
„Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Galater 6,1) Dies ist einer der vielen Sätze aus der Bibel, die in mir verschiedene, zum Teil gegensätzliche Gedanken und Gefühle wachrufen. Widerspruch regt sich, aber zugleich auch eifrige Zustimmung.
Mein Wanderrucksack tritt mir vor Augen, den ich mir als Studentin vor vielleicht 15 Jahren für eine Interrailreise gekauft habe und von dem ich noch immer sehr angetan bin. Denn mit ihm lassen sich schwere Lasten gut schultern. Wobei – „schultern“ ist hier doch nicht das richtige Wort. Denn das meiste Gewicht wird von der Hüfte gestemmt. Im Outdoor-Laden wurden die Größe und die Weite der Riemen so eingestellt, dass der Rucksack zu meinem Körperbau passt und ich ihn gut tragen kann. Auch, wenn er voll beladen ist.
Mit diesem Rucksack ausgestattet, hätte mir die Aufforderung „Einer trage des andern Last“ während der Reise nicht so wirklich gefallen. Denn auch, wenn der Rucksack mit der Zeit schließlich doch schwer wird und man sich über eine Entlastung freuen würde, ist so ein Lastentausch eine riskante Angelegenheit. Man weiß ja gar nicht, was die anderen so mit sich herumschleppen. Vielleicht noch viel mehr als man selbst. Oder vielleicht ist das Gepäck des anderen tatsächlich leichter als meins, fühlt sich aber auf meinem Rücken schwerer an, weil es einfach nicht zu mir passt?
„Ich bleibe lieber bei dem, was ich kenne und woran ich gewöhnt bin.“ So mag man auch denken, wenn man die Aufforderung zum Lastentausch bildlich betrachtet.
Sich jemandem anzuvertrauen, ihn in die eigenen Sorgen und Problemen einzuweihen – das ist manchmal ein ziemlich schwerer Schritt und will gut überlegt sein.
Was mag passieren, wenn ich das, was mich belastet, der anderen auflade? Wird sie das schultern können? Wird sie die Schwere meiner Familiengeschichte, meiner Gefühle und Gedanken tragen können oder wird es sie zu sehr runterziehen? Man würde zwar gern abladen, was auf einem liegt, aber ungern anderen zur Last fallen.
„Einer trage des anderen Last.“: Das Abladen kann manchmal ganz schön schwer sein. Aber eben auch das Auffangen dessen, was der andere mit sich trägt. Manchmal mag man sich sorgen, aus der Begegnung mit jemand anderem nicht erleichtert, sondern noch belasteter herauszugehen. In solchen Situationen ist klare Kommunikation notwendig und auch Supervision und Seelsorge kann da gut tun, da es dort nicht in dem Sinne zu einem Austausch kommt, sondern nur die Angelegenheiten des einen in den Blick genommen wird und er vor den Lasten des anderen verschont bleibt.
„Einer trage des andern Last.“ Nicht immer ist das sinnvoll. Doch manchmal eben durchaus. Das wurde mir in den vergangenen Wochen sehr bewusst. Einerseits fühlte ich eine gewisse Verbundenheit innerhalb unserer Gesellschaft, weil wir alle von Einschränkungen durch das Virus betroffen waren und sind. Andererseits haben wir die vergangenen Wochen ganz unterschiedlich erlebt.
Manch einer konnte die Freiheit genießen, die in seinem Terminkalender entstand. Manch einer kämpfte mit der Erschöpfung, weil die Verantwortung für Familie und Beruf, die bisher auf mehreren Schultern verteilt war, nun allein auf seinen lag. Und dann gab und gibt es viele, die mit Einsamkeit zu kämpfen hatten und haben und mit der fehlenden Möglichkeit, sich sinnvoll in die Gesellschaft einzubringen.
Wand an Wand wohnen sie: Die Familie, in der Homeoffice und Homeschooling plötzlich miteinander vereint werden müssen, in der man nie allein ist und die Nerven zwischenzeitlich blank liegen – und auf der anderen Seite die allein stehende Dame, deren Tag nur langsam vergehen will. Die Volkshochschule, der Chor und die Hausaufgabenhilfe – all das fällt aus. Die Frau könnte der Familie eine große Unterstützung sein, soll es aber besser nicht. Und so bleibt sie Zuhause und merkt, wie schwierig es sein kann, wenn jeder Haushalt auf sich selbst gestellt ist.
Und mir wird bewusst: Was für die einen eine Belastung darstellt, etwa das Unterrichten der Kinder, ist der anderen eine Freude. Und wo es zu einer guten Begegnung kommt, da kann das, was wir mit uns rumschleppen, viel an Gewicht verlieren.
Die Verantwortung, die man jemandem abnimmt, vertreibt das Gefühl von Einsamkeit und fehlendem Sinn. Die eine trägt des anderen Last und mag sie gar nicht als solche empfinden.
Was macht diese Krise mit unserer Gesellschaft? Wer Zeit zum Philosophieren hat, der mag sich eine solche Fragen stellen. Werden wir durch die Auflagen der Distanz ichbezogener und generell distanzierter? Oder lernen wir den Wert der Gemeinschaft schätzen und legen mehr Energie in den Aufbau und die Pflege von Beziehungen?
„Einer trage des andern Last“, schreibt Paulus. Und an anderer Stelle heißt es: Ihr seid wie Teile eines Körpers und bildet zusammen eine Einheit. Der Zusammenhalt der Christen ist für ihn gesetzt. Doch auch die Nähe Gottes bei uns Menschen. Egal, ob wir zusammen oder alleine sind.
Und so können wir jederzeit füreinander Sorge tragen. Auch auf Abstand. Auch, wenn uns das, was wir sonst tun, uns noch länger nicht zur Verfügung steht. Denn jederzeit können wir für einander beten. Wir können, was uns beschwert Gott anvertrauen. Wir können uns seine Fürsorge erbitten für jene, die uns am Herzen liegen. Wir können bitten, das Geben und Nehmen bald wieder leichter ist.
„Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. Wir haben einen Gott, der da hilft, und den HERRN, der vom Tode errettet.“
Amen.
Pastorin Carolin Joppig
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