Lauwarm?

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Lauwarm?

Ich halte mich für einen meinungsstarken Menschen. Gelegentlich ecke ich damit an oder verletze auch jemanden. Aber in vielen Dingen bin ich unentschieden. Ich kann beide Seiten verstehen. Und lande in der Mitte. Nicht heiß, nicht kalt, sondern lau. 

Aber sollte ich als Pastor nicht entschiedener für die Sache des Glaubens einstehen? Seid brennend im Geist, mahnt der Apostel Paulus. Die beiden Jünger, die unterwegs nach Emmaus sind und dem Auferstandenen begegnen, fragen sich rückblickend: Brannte nicht unser Herz? Müsste ich also nicht auch viel entschiedener sein, gerade jetzt? So wie die jungen Leute von der "Letzten Generation", die für ihren Protest einiges in Kauf nehmen? Ist es jetzt nicht an der Zeit, aus der Indifferenz herauszutreten und einen klaren Standpunkt einzunehmen? Wäre es in dieser glaubensarmen Zeit nicht notwendig, sich zu bekennen zum Gott des Lebens? Und Gott mit Wort und Tat zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft? In einer Zeit, in der die Leute nach beiden Seiten hinken und Gott und den Mammon zugleich dienen wollen? In der sie dem Konsumismus und Nationalismus und Autoritarismus huldigen und gleichzeitig den Segen empfangen wollen? Müsste ich da nicht wie der Prophet Elia ein Gottesurteil erflehen, und dann geht es den falschen Propheten an den Kragen? Müsste ich nicht, wie Jesus es getan hat, die Welt an das Feuer über Sodom und Gomorrha erinnern, weil diese Generation ein zügelloses Leben voller Verschwendung und Ungerechtigkeiten lebt?

Und müssen wir uns nicht alle viel mehr empören? Die Erde brennt. Aber wir haben keinen Mut zu wirklichen Entscheidungen, weil wir niemanden auf die Füße treten wollen, weil wir den Konflikt scheuen, weil wir bequem geworden sind als Kirche und Gesellschaft und nur noch ängstlich unsere schrumpfenden Besitzstände verwalten. Ist unser Glaube wie unsere Heizung: lauwarm? Stehen wir nicht blind und nackt und ratlos da und merken es bloß nicht, weil sich niemand traut, uns die Wahrheit zu sagen?

Die Bibel sagt uns die Wahrheit.

So heißt es im Buch der Offenbarung des Sehers Johannes über die Gemeinde in Laodizea:

Ich kenne deine Taten. Du bist weder kalt noch heiß.

Ach, wärst du doch kalt oder heiß!

Doch du bist lauwarm, weder heiß noch kalt.

Darum will ich dich aus meinem Mund ausspucken.

Du sagst: Ich bin reich, habe alles im Überfluss und mir fehlt es an nichts.

Dabei weißt du gar nicht, wie unglücklich du eigentlich bist,

bedauernswert, arm, blind und nackt.

Ich gebe dir einen Rat:

Kauf Gold von mir, das im Feuer gereinigt wurde. Dann bist du wirklich reich!

Und kauf weiße Kleider, damit du etwas anzuziehen hast.

Sonst stehst du nackt da und musst dich schämen!

Kauf außerdem Salbe und streich sie auf deine Augen.

Denn du sollst klar sehen können!

Laodizea war eine bedeutende Stadt in Kleinasien.  Ihr enormer Wohlstand beruhte neben dem Handel auf zwei Wirtschaftszweigen. Da war die antike Gesundheitsindustrie: In Laodizea hatten sie eine Salbe gegen Augenkrankheiten kreiert, die guten Absatz fand. Und rund um die Stadt gab es ein großes Baumwollanbaugebiet, und es war gelungen, purpurartige Farbe herzustellen, der viel günstiger war als die Originalfärbung mit Purpurschnecken. Die Stadt florierte. 

Jedenfalls für die, die davon profierten. Die keine Sklaven oder Abhängige oder Arme waren. Die konnten wohl zu Recht sagen: Ich bin reich, habe alles im Überfluss und mir fehlt es an nichts. Und so haben es vielleicht auch die reichen Christen in Laodizea gesagt. Ich habe mir doch nichts vorzuwerfen! Ich halte doch alle Gebote von Jugend auf! Und sind doch in Wirklichkeit arm im Glauben, sind blind für die Nöte der Nächsten, sind nackt in ihren Purpur-Kleidern. Besser wäre es, sie würden Gewinne in der Gerechtigkeit machen, sie würden sich weiße Kleider der Unschuld anziehen, wie ihre Taufkleider es einst gewesen sind, sie würden ihre Augensalbe bei sich selbst anwenden, damit sie die Wirklichkeit sehen. Sollten Christen nicht  Salz für die Welt sein – und wenn es nicht anders geht, dann Salz in den Wunden dieser Welt? 

Aber ich weiß nicht. Und das nicht nur, weil ich manchmal Entscheidungsschwierigkeiten habe. Ich denke auch daran, dass manche klare Entscheidungen in der Vergangenheit fatale Folgen hatten. Es kommt eben immer auf die Sache an, für die man eintritt. 

Gerade in Glaubensdingen ist Feuer ambivalent. Auf den Scheiterhaufen der Inquisition fanden viele einen grausamen Tod. Ethischer Rigorismus hat selten etwas Gutes hervorgebracht. Fundamentalismus ist oft auch nur eine Art von Beton.

Man mag für sich selbst nach strengen Maßstäben leben, aber wenn man sie anderen aufnötigt, führt das meistens zu Gewalt. Nicht unsere vermeintlichen Guttaten sprechen uns gerecht, sondern Gott. Und, wie Erich Kästner gesagt hat: Entweder man lebt, oder man ist konsequent. 

Wir müssen doch anerkennen, dass die Menschen verschieden sind und ein unterschiedliches Tempo haben. Paulus bittet uns, auf die Schwachen Rücksicht zu nehmen. Wir, die Starken, sind verpflichtet, die Schwächen der Schwachen zu tragen und nicht uns selbst zu Gefallen zu leben. 

Und was hilft auch das Schimpfen? Was uns hilft, sind gute Vorbilder.

Für mich sind die jungen Leute von der letzten Generation gute Vorbilder, auch in den meisten ihrer Grenzüberschreitungen. Nicht anders hat Jesus Grenzen überschritten und Gesetze verletzt. Es sind dramatische Auftritte, aber es ist ja auch eine dramatische Situation. Wenn sie sich auf Straßen oder Landebahnen festkleben, dann sind sie genau an den Orten, wo über unser aller Zukunft entschieden wird. Vielleicht sollte die Kirche sich da öfter blicken lassen.

Aber mir scheint es auch klug, wenn unsere Gemeinden jetzt nicht Orte der hitzigen Entschlüsse sind, und nicht Orte der sozialen Kälte - sondern Orte der Wärme. 

Und gute Vorbilder sind für mich auch die Menschen, die alles gut bedenken, die Schattierungen wahrnehmen, Widersprüche erkennen, Differenzen aushalten - und am Ende doch nicht so genau wissen. 

Pastor Klaus Kramer

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