02/07/2024 0 Kommentare
Wer darf wen belehren?
Wer darf wen belehren?
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Wer darf wen belehren?
Wie im Gottesdienst am vergangenen Sonntag, 21.8. angekündigt, die drei Blickwinkel auf die Frage "Wer darf wen belehren" nochmal zu nachlesen.
Grundlage bei allen drei Blickwinkeln waren Worte Jesu aus der Bergpredigt nach Matthäus 5, 17-20:
Denkt ja nicht, ich bin gekommen, um das Gesetz und die Propheten außer Kraft zu setzen. Ich bin nicht gekommen, um sie außer Kraft zu setzen, sondern um sie zu erfüllen. Amen, das sage ich euch: Solange Himmel und Erde bestehen, wird im Gesetz kein einziger Buchstabe und kein Satzzeichen gestrichen werden. Alles muss geschehen, was Gott geboten und verheißen hat. Keines der Gebote wird außer Kraft gesetzt, selbst wenn es das unwichtigste ist. Wer das tut und es andere Menschen so lehrt, der wird der Unwichtigste im Himmelreich sein. Wer die Gebote aber befolgt und das andere so lehrt, der wird der Wichtigste im Himmelreich sein. Denn ich sage euch: Eure Gerechtigkeit muss größer sein als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Sonst werdet ihr niemals in das Himmelreich kommen.
Blickwinkel 1 - Ulla Tietgen:
Wer darf wen belehren? Das ist das Thema unseres heutigen Gottesdienstes. Wir haben gerade die Lesung gehört, die auch unser Predigttext sein soll.
Ich frage mich: Was können wir heute für uns aus diesem Text mitnehmen? Und: könnte das Thema nicht auch heißen: Von wem kann ich etwas lernen und wem kann ich dabei vertrauen?
Ich denke, die Antwort liegt in Vers 19 des Textes. In der Übersetzung nach Jörg Zink heißt es: „Wer nun irgendeine noch so unscheinbare Ordnung, die Gott gestiftet hat, überholt nennt und diese Meinung unter den Menschen verbreitet, wird im Reiche Gottes keine Ehre empfangen. Wer sich dagegen nach dieser göttlichen Ordnung richtet und den Menschen hilft, dasselbe zu tun, wird im Reich Gottes unter den Großen sein.“
Wie ist das wohl gemeint? Nun bin ich keine Theologin. Aber ich habe mehr als 30 Jahre lang als Juristin gearbeitet. Mit der Auslegung von Texten, in denen es um Gesetze bzw. um Gebote geht, kenne ich mich also aus.
Unser Lesungstext steht im 5. Kapitel des Matthäus-Evangeliums. In diesem und in den folgenden Kapiteln geht es um die berühmte Bergpredigt. Hier legt der Jude Jesus die Gebote der Tora, des Gesetzbuches der Juden, in seinem Sinne aus. Die Legitimation dafür kommt, so glaube ich, direkt von Gott.
Vor diesem Hintergrund verstehe ich Vers 19 als Aufforderung, die Vorschriften der Tora so gut es geht einzuhalten und die Mitmenschen dazu zu bewegen, dies auch zu tun.
In einer Zeit wie der unseren, in der jede Menge Rezepte zum Glücklichsein auf dem Markt sind, ist es nicht leicht, die schwarzen Schafe unter den Anbietern zu erkennen. Wir sollten daher stets aufmerksam hinterfragen, was andere uns mit großen oder vielleicht auch leisen Worten anpreisen. Dabei kann uns unser Glaube an eine göttliche Ordnung als Leitfaden dienen.
Blickwinkel 2 - Bauke Voort:
In der Vorbereitung für den heutigen Gottesdienst habe ich gemerkt, dass mich das Thema "Wer darf wen belehren" reizt. Hier meine Gedanken dazu :
So wie die Juden in der Thora lesen und danach leben, so lebe und orientiere ich mich an den Psalmen und Texten der Bibel. Schon so manche Antwort auf Fragen des Lebens habe ich in der Bibel gefunden.
Jesus, der Jude, war nicht gegen die Pharisäer, sondern war einer von ihnen. So bemühe ich mich, mich in andere einzufühlen, mit dem Herzen zu denken. Ich bedenke auch die Grenzen des anderen und versuche, auch die unausgesprochenen zu beachten.
Aufgewachsen bin ich in Libyen - die Arbeit meines Vaters hat uns dahin geführt. Umgeben von Menschen muslimischen Glaubens, bewahrten wir in der Familie die christlichen Traditionen. Mit Nachbarskindern habe ich aber auch die Moschee besucht. Dort saß ich bei den Frauen und Mädchen, das Haar bedeckt. So wie es der muslimische Glaube gebietet. Ich betete zu Gott; erzählte ihm, was ich erlebt hatte und was mich am Tag beschäftigt hat. Wenn früh am Morgen der Muezzin mit seinem Ruf den Tag begrüßte und die Gläubigen zum Gebet versammelte, war das für mich ein ergreifendes Gefühl.
Heute folge ich dem Glockenläuten in die Kirche. Tief in mir ist die Sehnsucht, dass alle Menschen ihrem Ruf folgen, ob
- in die Kirche
- in die Moschee
- ins Grüne
- oder in die Synagoge.
Frei, ohne Angst oder Sorge.
Blickwinke 3 - Norbert Harms:
Mich haben, wie so viele andere Pastorinnen und Pastoren, die Hochschullehrer an der Uni gelehrt bzw. belehrt. das allerwichtigste, aus meiner Erinnerung: Das Denkgebäude von Verheißung und Erfüllung tauchte immer wieder auf: Es musste Jesus kommen, um die Tora zu erfüllen. Ein Beispiel habe ich im Gottesdienst zum Thema „Leben im Licht“ vor zwei Wochen genannt. Es ging um den Epheserbrief.
Ein Kollege schreibt dazu: "Weil das Licht für uns (Christen) nicht in der Gestalt des forderndes Gesetzes, sondern des schöpferischen Evangeliums wirklich ist, trägt es Früchte." (Hans Weder) Der Mensch also, der nur die Tora hat und sich bemüht, nach der Tora zu leben, kann im Umkehrschluss keine Früchte bringen. Das Gesetz, die Tora, fordert von uns unmögliches, dient also nur dazu, uns unsere Unzulänglichkeit vorzuhalten.
Das hat mich noch nie wirklich überzeugt. Mehr und mehr wollte ich lernen von der jüdischen Bibelauslegung. Die findet sich für uns Christen schon seit Jahrzehnten u.a. in der Arbeitshilfe der "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste". In dem aktuellen Heft zum heutigen Predigttext stehen ganz andere Gedanken über das Gesetz bzw. die Tora. Zum Beispiel von Zwi Werblowsky, jüdischer Gelehrter: "Die Tora ist (...) Ausdruck der Gnade Gottes, ist Evangelium." (...) Am Feste Simchat Tora (...) tanzen die frommen Juden, eben die Träger der Tora, mit dieser Tora im Arm." Jesus erfüllt nicht die Tora im Sinne von Verheißung und Erfüllung. Jesus beteiligt sich an der Toraauslegung seiner Zeit; er kommt, um sie aufzurichten, sie sie zu tun, mit Leben zu füllen, sie auszulegen. Er war Lehrer der Tora, wie auch die anderen Schriftgelehrten.
Nun noch ein kurzer Gedanke zu unserer Vorbereitung. Zwei Stunden haben wir drei im Lehrgespräch zusammen verbracht. Jede/r durfte sagen: "Ich verstehe das mit der Belehrung so und so ..." Sie haben es gehört. Wir haben uns in die Nachfolge Jesu und der anderen Lehrer und Lehrerinnen der Tora begeben. Dabei gab es, auch bei uns, sehr unterschiedliche Meinungen. Einig waren wir uns aber, was den Umgang mit der Sexualität angeht: hier gilt für uns Jesu Mahnung nicht, jedes Jota des Gesetzes unwidersprochen zu erfüllen. Diese Vorschriften lehnen wir als eindeutig zeitbedingt und zum Teil diskriminierend ab. Konkret: die Ablehnung der Homosexualität (wie auch manche seltsamen Vorschriften zur Hygiene) müssen und dürfen wir nicht übernehmen. Aber - ich höre mit einer offenen Frage auf, die wir nachher im Gespräch wieder aufnehmen können - untergraben wir so nicht die Autorität Jesu?
Diskutieren Sie mit uns! Teilen Sie uns ihren Blick auf Jesus und die Tora mit! Schreiben Sie uns gern eine Mail an pharms@martin-luther-findorff.de
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