Geschichten von der Heilung

Geschichten von der Heilung

Geschichten von der Heilung

# Gottesdienste/Spirituelle Angebote

Geschichten von der Heilung

„Bleiben Sie gesund“, wünschen wir uns seit zwei Jahren. Und man weiß nicht: Ist das ein guter Wunsch – oder ein Befehl?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Gesundheit zu einem goldenen Kalb geworden ist. Auch Menschen früherer Generationen haben ihr ganzes Geld zu Ärzten und Scharlatanen getragen. Die Frau, die an Blutungen leidet und geheilt wird, weil sie das Gewand von Jesus berührt, ist eine, die in ihrer Verzweiflung nichts ausgelassen hat (Markus 5,21-34). Aber mir kommt es so vor, als sei das heute besonders überdreht.

Wir haben eine hochspezialisierte und wissenschaftlich fundierte Medizin, die Heilungen vollbringt, die an Wunder grenzen. Man kann bei einer 85-jährigen erfolgreich Darmkrebs operieren und ihr so glückliche Lebensjahre schenken. Wobei „schenken“ nicht ganz das richtige Wort ist, denn umsonst gibt es das nicht. Es werden in unserem Land Knie und Hüften in einer Zahl operiert, die womöglich mehr den Kliniken als den Kranken hilft.

Vielleicht auch deshalb haben viele Menschen eine tiefe Skepsis gegenüber der wissenschaftsbasierten Medizin. Sie erleben sich dort nur als Objekte von Behandlungsmethoden und vertrauen sich lieber Homöopathen und Ernährungsgurus an. Da wird Gesundheit endgültig zur Glaubenssache. In charismatischen Gemeinden gibt es Gesundbeter, die behaupten, man müsse nur den rechten Kontakt zu Gott herstellen, dann könne man die Krücken fortwerfen.

Aber wie ist das eigentlich mit den Blinden und Gelähmten und Gehörlosen? Hat Jesus, der sie heilt, auch so eine Defizit-Orientierung, die die Menschen auf ihre körperlichen oder geistigen Mängel festlegt und zu Objekten der Fürsorge degradiert?

Und noch eine Frage: Was ist krank, was ist gesund? Bis vor kurzem wurde Homosexualität offiziell als krankhaftes Verhalten definiert. Und leider gibt es auch in Bremen evangelische Gemeinden, die an dieser Sichtweise festhalten. Entsprechende „Therapien“ dürfen sie an Minderjährigen nicht mehr durchführen. Aber sie bleiben doch bei ihrer Verurteilung von allem, was ihr fundamentalistisches Weltbild stört. Und heucheln, das entspreche dem Willen Gottes und der Liebe Jesu Christi.

Wie können wir aus den Geschichten von der Heilung, die uns die Heilige Schrift erzählt, wirklich Kraft schöpfen?

Vielleicht lässt man sich einfach von der Hoffnung anstecken, die erzählt wird. Wenn jemand zwölf Jahre, 18 Jahre, sein ganzes Leben lang gelitten hat und dann geheilt wird – dann kann das ja auch mir geschehen. Man lässt sich auf die Bewegung dieser Geschichte ein und wird selbst bewegt. Vielleicht ist das ein naives Vertrauen, aber das ist nicht das Schlechteste.

Ein Zugang kann auch darin liegen, dass man auf einzelne Wörter oder Sätze achtet, die einem im Sinn bleiben.

Was willst Du, dass ich für dich tun soll? (Markus 10, 51)

Sprich nur ein Wort. (Markus 8,7)

Die ganze Volksmenge freute sich. (Lukas 13,17)

Lesen sie die Geschichten, spüren Sie nach, welches Wort bei Ihnen nachklingt. Welches Echo es gibt. Und was daraus entsteht.

Das sind Wege des Verständnisses. Sie sind wirksam und in sich heilsam. Wir hören den Zuspruch und nehmen in uns auf.

Man kann die Heilungsgeschichten der Bibel leider auch missverstehen, indem man sie in falscher Weise wörtlich nimmt. Dann denkt man, das Problem des Bartimäus sei, dass er blind ist. Das Leiden des Aussätzigen bestehe in seiner Hautkrankheit. Die Kranken und Menschen mit Behinderung hätten ein Problem. Und seien vielleicht auch in irgendwie selber schuld. Ungesunde Lebensweise, mangelnde Vorsorge, Sünde oder sowas. Vielleicht ja schon die Eltern, die Gene, die Familienmuster. Dann sagt man: Die haben ein Problem. Und dann ist der Schritt nicht mehr weit, zu sagen: Die sind das Problem. Und dann werden sie ausgrenzt oder weggeschickt. Oder der Fürsorge anbefohlen, und man weiß nicht, was schlimmer ist.

So denken übrigens auch die Leute, mit denen sich Jesus auseinandersetzen muss. Die sich ärgern, weil Jesus für sich Vollmacht Gottes in Anspruch nimmt, weil er am Sabbat heilt, weil er die Unberührbaren anfasst. Weil er die menschliche Ordnung durcheinanderbringt, die doch jedem seinen Platz anweist. Diese ungesunde menschliche Ordnung.

Falsch verstanden sind die Geschichten, wenn man sie auf Krankheit oder Behinderung reduziert. Das tun die sich für fromm haltenden Leute, die sich als Gesundbeter aufspielen. Die behaupten, sie könnten Blinde sehen machen allein durch die Beschwörung des Geistes Jesu Christi. Das ist letztlich aber auch nur ein materialistisches Verständnis von Krankheit und Behinderung.

Wirkliches Heil ist etwas anderes.

Es ist das, was das Alte Testament Schalom nennt.

Es ist für den ganzen Menschen da.

Für alle Menschen.

In den Heilungs-Geschichten der Bibel stehen einzelne Menschen im Mittelpunkt, aber nur von wenigen kennen wir den Namen. Man muss sagen: Es sind Typen, keine Individuen. Und sie sind doch so unterschiedlich: Frauen und Männer, Kinder und Alte, Große und Geringe, Herren und Sklaven. So verschieden sie sind, so sehr sind sie alle in einer schwierigen Lage, und die besteht nicht aus ihrer Krankheit.

Das Problem des Bartimäus ist nicht seine Blindheit. Sondern dass die Gesellschaft keine andere Beschäftigung für ihn weiß, als zu betteln. Das Problem der verkrümmten Frau ist nicht die Deformation ihrer Wirbelsäule, sondern dass es nicht erwünscht ist, dass Frauen frei und aufrecht stehen. Das Problem des römischen Hauptmanns ist nicht, dass ein geliebter Mensch stirbt, sondern dass er als Repräsentant der Besatzungsmacht abgelehnt wird.

Worum es bei dem Heil, das Jesus bringt und über das die Leute so staunen – oder sich auch ärgern – wirklich geht, zeigt sich an einem kleinen Detail. „Lass uns nur die Quasten deines Mantels berühren!“, flehen die Menschen Jesus an (Mk 6,56). Davon werden sie gesund. Und das ist ein Wunder, weil hier nicht die Naturgesetze durchbrochen werden oder die Gesetze der medizinischen Wissenschaft. Sondern die unbarmherzigen Gesetze der menschlichen Existenz.

Die Quasten stehen für die Gebote (4. Mose 15,37-41). Israel soll sie sich an die Kleidung nähen, als tägliche Erinnerung die Befreiung, die Gott bewirkt hat. Als Merkzeichen für die zehn und alle anderen Gebote. Die Gebote sind Gottes Maßstab für ein gelingendes Zusammenleben aller Menschen. Die Gebote sind da, damit die Beziehungen der Menschen gesund bleiben. Damit die geschwisterliche Liebe bleibt. Damit wir einander treu beistehen, auch in Schuld und Versagen. Damit wir uns nicht am Nutzwert eines Menschen orientieren, sondern an seiner Würde. Damit wir allen Menschen Lebenschancen und Teilhabe ermöglichen. Damit alle einen Sinn in ihrem Leben erkennen können und eine Aufgabe haben, die sie erfüllen können.

Wer in Kontakt zu dieser heilsamen Lebensordnung Gottes kommt, der wird gesund. Der wird heil. Und ob sie dann sehen kann oder nicht oder nur ein bisschen, ob er schnell läuft oder flott im Rollstuhl ist, ob sie Schmerzen trägt oder nicht, ja sogar, ob sie auf den Tod zugeht oder noch glückliche Jahre bleiben – das ist dann zweitrangig. Das ist dann eine medizinische Frage, eine Frage curativer oder palliativer Behandlung, oder einer von Inklusionshilfen und Parkverbot auf Bürgersteigen.

Wichtiger als die Gesundheit ist allemal die Liebe.

Das zeigen uns solche Geschichten. Immer wieder neu.

Pastor Klaus Kramer

Dies könnte Sie auch interessieren

0
Feed