So sehr hat Gott die Welt geliebt

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So sehr hat Gott die Welt geliebt

In der Abfolge eines traditionellen Kreuzweges begegnen wir in Worten aus der Bibel der Geschichte von Jesus - und Stationen aus dem Leben von Dietrich Bonhoeffer. Der Theologe und Widerstandskämpfer wurde 1906 geboren, 1943 festgenommen und inhaftiert, und im April 1945, in den letzten Tagen des Krieges, hingerichtet. Was er in Briefen, Meditationen und Gedichten festgehalten hat, kann uns helfen, unseren Glauben an die Liebe Gottes zu stärken.(Hier können Sie sich den Kreuzweg auch als pdf herunterladen: Ein Kreuzweg.)

1. Station: Jesus wird zum Tode verurteilt

Ruchlose Zeugen treten auf. 

Man wirft mir Dinge vor, von denen ich nichts weiß. 

Sie vergelten mir Gutes mit Bösem, ich bin verlassen und einsam.

Denn es erheben sich gegen mich stolze Menschen, 

freche Leute trachten mir nach dem Leben; 

sie haben Gott nicht vor Augen.

Psalm 35,11f; 54,5

2. Station: Jesus nimmt das Kreuz auf sich

Die Aufnahmeformalitäten wurden korrekt erledigt. Ich wurde für die erste Nacht in eine Zugangszelle eingeschlossen; die Decken auf der Pritsche hatten einen so bestialischen Gestank, dass es trotz der Kälte nicht möglich war, sich damit zuzudecken. Am nächsten Morgen wurde mir ein Stück Brot in die Zelle geworfen, sodass ich es vom Boden aufheben musste. (…)  Von außen drangen in meine Zelle zum ersten Mal jene wüsten Beschimpfungen der Untersuchungsgefangenen durch das Personal, die ich seither täglich von morgens bis abends gehört habe. Als ich mit den anderen Neueingelieferten anzutreten hatte, wurden wir von einem Schließer als Strolche tituliert; jeder wurde nach dem Grund seiner Verhaftung gefragt; als ich sagte, dass mir dieser nicht bekannt sei, antwortete der Schließer höhnisch lachend: »den werden Sie schon bald genug erfahren!« Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich einen Haftbefehl erhielt. (...) Im Übrigen öffnete sich die Zelle in den nächsten zwölf Tagen nur zum Essenempfang und zum Heraussetzen des Kübels. Es wurde kein Wort mit mir gewechselt. Ich blieb ohne Mitteilung über Grund und Dauer meiner Haft. Wie ich aus Bemerkungen entnahm und wie sich auch bestätigte, war ich auf der Abteilung für die schwersten Fälle untergebracht, wo die zum Tode Verurteilten und an Händen und Füßen Gefesselten lagen. In der ersten Nacht in meiner Zelle konnte ich wenig schlafen, da in der Nebenzelle ein Häftling mehrere Stunden hintereinander laut weinte, ohne dass sich jemand darum kümmerte.

(Bd. 6, S. 21f.)

3. Station: Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

Dietrich Bonhoeffer schreibt an seinen Freund Eberhard Bethge, zu der Zeit Soldat in Italien:

Heute war hier ein heißer Sommertag, und ich habe die Sonne nur mit geteilten Gefühlen genießen können, weil ich mir denken kann, was für Qualen sie Dir jetzt bereiten mag. Vermutlich sitzt Du jetzt irgendwo verstaubt, verschwitzt, müde und vielleicht ohne die nötige Möglichkeit zum Waschen und Sicherfrischen. Ich kann mir vorstellen, dass Du die Sonne manchmal zu hassen anfängst. Und doch, weißt Du, ich möchte sie einmal wieder richtig spüren in ihrer ganzen Macht, wenn sie einem auf die Haut brennt und allmählich den ganzen Körper zum Glühen bringt, sodass man wieder weiß, dass man ein leibliches Wesen ist. (...) Die romantische Sonnenschwärmerei, die sich nur an Sonnenaufgängen und -untergängen berauscht, kennt die Sonne als Wirklichkeit gar nicht, sondern eigentlich nur als Bild. Sie kann es nie begreifen, warum man die Sonne als Gott verehrte; dazu gehört nicht nur die Erfahrung des Lichtes und der Farben, sondern auch der Hitze. (...) Ob Einen solche Gedanken vielleicht etwas mit den Qualen der Hitze auszusöhnen vermögen? Aber vermutlich ist Dir das jetzt alles ganz egal und Du sehnst Dich ganz einfach heraus aus dieser Hölle nach einer Berliner Weiße im Grunewald. 

(Bd. 5, S. 154.)

4. Station: Jesus begegnet seiner Mutter

Berlin den 17. Oktober 1943

An den Herrn Präsidenten des Reichskriegsgerichts

Ich bitte, die Haftentlassung meines Sohnes Pfarrer Dietrich Bonhoeffer zu verfügen. Er befindet sich seit Anfang April in Haft. Ich brauche nicht zu sagen, dass es meiner Frau und mir, die wir alte Leute sind, nach solch schwerer Zeit eine große Freude wäre, wenn wir ihn zum Feste bei uns hätten. Es ist uns seiner Zeit anlässlich einer Sprecherlaubnis von Oberstkriegsgerichtsrat Roeder der Abschluss des Verfahrens für Mitte Juli in Aussicht gestellt worden. Nachdem, wie wir hören, die Ermittlungen seit längerer Zeit abgeschlossen sind, und bei einem Mitglied meiner Familie der Gedanke, sich im Falle der Entlassung dem Verfahren zu entziehen, nicht in Betracht kommt, hoffen wir, dass unserer Bitte entsprochen werden kann. Ich bin auch bei der Persönlichkeit meines Sohnes überzeugt, dass er sich nichts hat zu Schulden kommen lassen, was eine noch weitere Haft rechtfertigen könnte.

Karl Bonhoeffer

(Bd. 6, S. 91.)

5. Station: Simon von Cyrene hilft Jesus, das Kreuz tragen

Losung für die Pfingsttage 1944:  

Ihre Wege habe ich gesehen, aber ich will sie heilen und sie leiten und ihnen wieder Trost geben; und denen, die da Leid tragen, will ich Frucht der Lippen schaffen. Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe, spricht der HERR; ich will sie heilen.

Jes 57,18f

Nun ist er dabei uns zu heilen. Er berührt die Wunden, die uns die Vergangenheit geschlagen hat, und sie vernarben, sie tun nicht mehr weh, sie können unserer Seele nicht mehr schaden. Erinnerungen quälen uns nicht mehr, alle Schmerzen versinken ins Nichts, in Vergessenheit, wie in der Nähe eines geliebten Menschen. Gott ist uns näher als das Vergangene. (…)

Gott will uns trösten. Gott tröstet nur, wenn Grund genug dafür vorhanden ist, wenn Menschen nicht aus noch ein wissen, wenn die Sinnlosigkeit des Lebens sie ängstigt. Die Welt, wie sie in Wirklichkeit ist, macht uns immer Angst. Aber wer getröstet wird, sieht und hat mehr als die Welt, er hat das Leben mit Gott. Nichts ist zerstört, verloren, sinnlos, wenn Gott tröstet.

(Bd. 6, S. 100f.)

6. Station: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch

Losung für den 7. Juni 1944: 

Siehe, Gott steht mir bei, der Herr erhält mein Leben.

Ps 54, 6

So spricht ein Mensch zum [andern], so tröstet er den andern und sich selbst. Er weist auf alles das hin, was Gott in vergangener Zeit an ihm getan hat, er weist auf den Gott hin, der treu war und treu bleibt, der ihn in Gefahren und Schwierigkeiten nie ohne Beistand gelassen hat und lassen wird. Können wir einander besser trösten, können wir einander besser beistehen, als indem wir zuversichtlich und gewiss so zueinander sprechen: sorge dich nicht um mich, es ist für mich gesorgt! Fürchte dich nicht, ich bin nicht allein gelassen! (…)

Mit unseren Sorgen, Gedanken und Bemühungen erhalten wir unser Leben nicht einen einzigen Tag, aber der Herr, der aller Welt gebietet und allen Dingen ihren Lauf gibt, der alle Gefahren wenden kann, der »viel tausend Weisen hat aus dem Tode zu erretten« – Er allein erhält mein Leben. »Er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.« Sieh doch das an, – so wollen wir zueinander sagen – und nicht all das andere, was uns beunruhigt und bedrückt. 

(Bd. 6, S. 105f.)

7. Station: Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz

Ich bin ein vom Leid geprüfter Mensch.

Gott schlug mich mit der Rute seines Zorns.

Er hat mich vertrieben und weggeführt,

in die Finsternis und nicht ins Licht.

Immerzu hat er mich geschunden,

Tag für Tag traf mich seine Faust.

Durch ihn bin ich nur noch Haut und Knochen,

sämtliche Glieder hat er mir zerschlagen.

Ich konnte um Hilfe schreien, soviel ich wollte.

Er verschloss seine Ohren vor meinem Gebet.

Trotzdem muss ich ständig an ihn denken,

und das wühlt mich bis ins Innerste auf.

Deshalb will ich in mich gehen

und meine Hoffnung auf den HERRN setzen:

Ja, seine Güte hört nicht auf.

Sein Erbarmen hat noch lange kein Ende.

(Klagelieder Jeremias 3)

8. Station: Jesus begegnet den weinenden Frauen

Aus einem Brief an Eberhard Bethge vom 29. Mai 1994:

Ich beobachte hier immer wieder, dass es so wenige Menschen gibt, die viele Dinge gleichzeitig in sich beherbergen können. Wenn Flieger kommen, sind sie nur Angst, wenn es was Gutes zu essen gibt, sind sie nur Gier; wenn ihnen ein Wunsch fehlschlägt, sind sie nur verzweifelt; wenn etwas gelingt, sehen sie nichts anderes mehr. Sie gehen an der Fülle des Lebens und an der Ganzheit einer eigenen Existenz vorbei.(…) Demgegenüber stellt uns das Christentum in viele verschiedene Dimensionen des Lebens zu gleicher Zeit; wir beherbergen gewissermaßen Gott und die ganze Welt in uns. Wir weinen mit den Weinenden und freuen uns zugleich mit den Fröhlichen; wir bangen (...) um unser Leben, aber wir müssen doch zugleich Gedanken denken, die uns viel wichtiger sind, als unser Leben. 

(Bd. 5, S. 135f.)

9. Station: Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz

Aus einem Brief an Eberhardt Bethge vom 30. Juni 1944:

Ich gehe davon aus, dass Gott immer weiter aus dem Bereich einer mündig gewordenen Welt, aus unseren Erkenntnissen- und Lebensbereichen hinausgeschoben wird (...). Die Theologie hat sich einerseits gegen diese Entwicklung gesträubt und ist gegen den Darwinismus und anderem – vergeblich – Sturm gelaufen; andrerseits hat sie sich mit der Entwicklung abgefunden und Gott nur noch bei den sogenannten letzten Fragen als deus ex machina fungieren lassen, d. h. Gott wird zur Antwort auf Lebensfragen, zur Lösung von Lebensnöten und -konflikten.

Wo also ein Mensch nichts derartiges aufzuweisen hat oder wenn er sich weigert, sich in diesen Dingen gehen und bemitleiden zu lassen, dann bleibt er eigentlich für Gott nicht ansprechbar. Oder es muss dem Mann nachgewiesen werden, dass er in Wahrheit tief in solchen Fragen, Nöten, Konflikten steckt, ohne es sich einzugestehen oder es zu wissen. (…)

Gelingt es aber nicht, den Menschen dahin zu bringen, dass er sein Glück als sein Unheil, seine Gesundheit als seine Krankheit, seine Lebenskraft als seine Verzweiflung ansieht und bezeichnet, dann ist das Latein der Theologen am Ende. Dann hat man es entweder mit einem verstockten Sünder besonders bösartiger Natur oder mit einer »bürgerlich-saturierten« Existenz zu tun, und einer ist dem Heil ebenso fern wie der andre.

Sieh mal, das ist die Einstellung, gegen die ich mich zur Wehr setze. Wenn Jesus Sünder selig machte, so waren das wirkliche Sünder, aber Jesus machte nicht aus jedem Menschen zuerst einmal einen Sünder. Er rief sie von ihrer Sünde fort, aber nicht in ihre Sünde hinein. 

(...) Gewiss nahm sich Jesus der Existenzen am Rande der menschlichen Gesellschaft, Dirnen, Zöllner, an, aber doch durchaus nicht nur ihrer, sondern weil er sich der Menschen überhaupt annehmen wollte. Niemals hat Jesus die Gesundheit, die Kraft, das Glück eines Menschen an sich in Frage gestellt.

(Bd. 5, S. 155-157.)

10. Station : Jesus wird seiner Kleider beraubt

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.

Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht,

und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.

Aber du bist heilig,

der du thronst über den Lobgesängen Israels.

Unsere Väter hofften auf dich;

und da sie hofften, halfst du ihnen heraus.

Zu dir schrien sie und wurden errettet,

sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden.

Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,

ein Spott der Leute und verachtet vom Volk.

Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe;

denn es ist hier kein Helfer.

Ich bin ausgeschüttet wie Wasser,

alle meine Gebeine haben sich zertrennt;

mein Herz ist in meinem Leibe 

wie zerschmolzenes Wachs.

Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, 

und meine Zunge klebt mir am Gaumen,

und du legst mich in des Todes Staub.

Sie teilen meine Kleider unter sich

und werfen das Los um mein Gewand.

Aber du, HERR, sei nicht ferne;

meine Stärke, eile, mir zu helfen!

Psalm 22

11. Station: Jesus wird ans Kreuz genagelt

Losung für den 8. Juni 1944:

Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen erbet. ( …)

(1 Petr 3,9)

Die Antwort des Gerechten auf die Leiden, die ihm die Welt zufügt, heißt: segnen. Das war die Antwort Gottes auf die Welt, die Christus ans Kreuz schlug: Segen. Gott vergilt nicht Gleiches mit Gleichem und so soll es auch der Gerechte nicht tun. Nicht verurteilen, nicht schelten, sondern segnen. Die Welt hätte keine Hoffnung, wenn dies nicht wäre.

Vom Segen Gottes und der Gerechten lebt die Welt und hat sie eine Zukunft. Segnen, das heißt die Hand auf etwas legen und sagen: du gehörst trotz allem Gott. So tun wir es mit der Welt, die uns solches Leiden zufügt. Wir verlassen sie nicht, wir verwerfen, verachten, verdammen sie nicht, sondern wir rufen sie zu Gott, (…) wir legen die Hand auf sie und sagen: Gottes Segen komme über dich, er erneuere dich, sei gesegnet, du von Gott geschaffene Welt, die du deinem Schöpfer und Erlöser gehörst. (…)

Nur aus dem Unmöglichen kann die Welt erneuert werden, und das Unmögliche ist der Segen Gottes.

(Bd. 6, S. 107f.)

12. Station: Jesus stirbt am Kreuz

Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. 

Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? 

Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 

Und einige, die dabeistanden, als sie das hörten, sprachen sie: Siehe, er ruft den Elia. 

Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihn herabnehme! 

Aber Jesus schrie laut und verschied.

Und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. 

Der Hauptmann aber, der dabeistand, ihm gegenüber, und sah, dass er so verschied, sprach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen! 

(aus Mk 15,25-39)

Aus einem Brief an Eberhard Bethge vom 16. Juli 1944:

„Gott gibt uns zu wissen, dass wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt. (…) Gott lässt sich aus der Welt heraus drängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. Es ist ganz deutlich, dass Christus nicht hilft Kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens! Hier liegt der entscheidende Unterschied zu aller Religionen. Die Religiosität des Menschen weist ihn in seiner Not an die Macht Gottes in der Welt, Gott ist der deus ex machina. Doch die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen. Insofern kann man sagen, dass die (…) Mündigkeit der Welt (…) den Blick frei macht für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt.“

(Bd. 5, S. 167.)

13. Station: Jesus wird vom Kreuz genommen

Aus einem Brief an Eberhard Bethge vom 27. Juni 1944:

Nun sagt man, das Entscheidende sei, dass im Christentum die Auferstehungshoffnung verkündigt würde (…). Das Schwergewicht fällt nun auf das Jenseits der Todesgrenze. Und eben hierin sehe ich den Fehler und die Gefahr. Erlösung heißt nun Erlösung aus (…) Sünde und Tod in einem besseren Jenseits. Sollte dies aber wirklich das Wesentliche der Christusverkündigung der Evangelien und des Paulus sein? Ich bestreite das. 

Die christliche Auferstehungshoffnung unterscheidet sich von den mythologischen darin, dass sie den Menschen in ganz neuer (…) Weise an sein Leben auf der Erde verweist. Der Christ hat nicht wie die Gläubigen der Erlösungsmythen immer noch eine letzte Ausflucht ins Ewige, sondern er muss das irdische Leben wie Christus (…) ganz auskosten. Und nur indem er das tut, ist der Gekreuzigte und Auferstandene bei ihm.  (…) Erlösungsmythen entstehen aus den menschlichen Grenzerfahrungen. Christus aber fasst den Menschen in der Mitte seines Lebens.

(Bd. 5, S. 151-153.)

14. Station : Jesus wird ins Grab gelegt

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,

ich träte aus meiner Zelle

gelassen und heiter und fest,

wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,

ich spräche mit meinen Bewachern

frei und freundlich und klar,

als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,

ich trüge die Tage des Unglücks

gleichmütig, lächelnd und stolz,

wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?

oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?

unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,

ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle, hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen, dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,

zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung, umgetrieben vom Warten auf große Dinge,

ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,

müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,

matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?

(…)

Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

(Bd. 6, S. 176f.)

Die Bonhoeffer-Texte stammen aus den Bänden 5 und 6 der Dietrich-Bonhoeffer-Auswahl, hrg. von Christian Gremmel und Wolfgang Huber, Gütersloh, 2006. Zusammengestellt von Dr. Bernhard Scholten, Landau.

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